16. Workshop und Fachsymposium Netzwerk Effizienzhaus Plus am 19. Februar 2020 in Berlin

Unter dem Motto "Impulse für den Klimaschutz" fand der 16. Workshop des Forschungsnetzwerks Effizienzhaus Plus auf der bautec 2020 in Berlin statt. Insgesamt 285 Teilnehmer hatten sich für die Veranstaltung im Konferenzbereich der Messe Berlin angemeldet. In ihrem Grußwort hob Ministerialdirektorin Christine Hammann, Abteilungsleiterin für Bauwesen, Bauwirtschaft und Bundesbauten im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) hervor, dass der Klimaschutz die Menschen weltweit bewege. Sie betonte die Verantwortung des Gebäudesektors in diesem Kontext und wies auf die Notwendigkeit hin, für nachhaltige Bauweisen zu sensibilisieren. Dabei hob Frau Hammann die Rolle innovativer Gebäudekonzepte auf dem Weg zu einem klimaneutralen Gebäudebestand hervor.

Hans Erhorn, Principal Advisor für das Fraunhofer-Institut für Bauphysik (IBP), führte durch das weitere Programm des Netzwerktreffens, das aus abwechslungsreichen Vorträgen bestand. Nach einem Einführungsblock von Vertretern der öffentlichen Hand am Vormittag, boten Impulsvorträge Einsicht in die Themen Klimawandel, Energieeffizienz und Lebenszyklus. In der Mittagspause nutzten die Veranstaltungsteilnehmer die Möglichkeit zum fachlichen Austausch und sich anhand der Posterschau über die Forschungsinitiative weiter zu informieren. Am Nachmittag wurde über Ergebnisse und Erfahrungen aus der Praxis zu ausgewählten Effizienzhaus Plus-Modellvorhaben berichtet. Die Veranstaltung endete mit einer Podiumsdiskussion zum Thema „Effizienzhaus Plus – Erfahrungen aus erster Hand“ mit Vertretern der Wohnungswirtschaft, aus Forschung, Kommunen und der Baubranche.

Petra Alten, Referentin und Projektleiterin der Effizienzhaus Plus-Initiative im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI), erinnerte an die Anfangszeit und das bald 10-jährige Bestehen der Initiative. Sie schilderte einige über die Jahre durch die Initiative gesetzte starke Impulse, wie zum Beispiel eine 20 % Marktdurchdringung des Effizienzhaus Plus Standards in der Fertighaus-Industrie. Einen besonderen Schwerpunkt legte Frau Alten auf den Wissenstransfer der Initiative und das Erfordernis, die breite Öffentlichkeit zu informieren und in Richtung des klimaneutralen Bauens mitzunehmen.

Die derzeitig vorhandenen und geplanten politischen Instrumente und Umsetzungspläne zur Einhaltung der Klimaschutzziele im Gebäudebereich in Deutschland und Europa wurden von Peter Rathert, Referatsleiter im BMI, dargelegt. Er betonte die Notwendigkeit Effizienzhaus Plus-Gebäude in der Breite zu realisieren, um die gesetzten Ziele zu erreichen.

Einen Überblick über die Effizienzhaus Plus-Modellvorhaben und Förderprogramme des BMI gab Miriam Hohfeld, Referentin im Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR). Die zentralen Erkenntnisse der Modellvorhaben für Wohngebäude und Bildungsbauten fasste sie in drei Punkten zusammen: der Effizienzhaus Plus-Gebäudestandard erlaubt Flexibilität bei der Umsetzung einer positiven Energiebilanz, leistet einen Beitrag zum Klimaschutz und ist eine Investition in die Zukunft.

Dr. Andreas Walter vom Deutschen Wetterdienst stellte die Folgen des Klimawandels mit Langzeitperspektive 2100 vor. Die Auswirkungen des Klimawandels seien bereits heute in Deutschland zu beobachten und ein vermehrtes Auftreten von Extremereignissen sei aus seiner Sicht wahrscheinlich. Herr Walter zeigte drei verschiedene Szenarien der zukünftigen Temperaturentwicklung in Deutschland auf. Auch wenn die gezeigten Szenarien mit Unsicherheiten behaftet seien, betonte er, sei eine Anpassung an die zu erwartenden Auswirkungen des Klimawandels unerlässlich.

Unter dem Titel „Effizienzhaus Plus ist der richtige Weg!“ stellte Prof. Dr. M. Norbert Fisch von EGS-plan Ingenieurgesellschaft umgesetzte Beispiele von Effizienzhaus Plus-Wohngebäuden vor. Er sprach einige Hemmnisse des Effizienzhaus Plus-Standards an, z.B. die investiven Mehrkosten im Vergleich zum ordnungsrechtlich vorgeschriebenen Standard der Energieeinsparverordnung (EnEV) und gab Empfehlungen zur Erreichung der CO2-Ziele im Gebäudebereich und zur Einführung einer ganzheitlichen CO2-Bilanzierung ab. Er forderte die Veranstaltungsbesucher zu einem sehr kurzfristigen Handeln auf, um zukünftig einen vollständigen Verzicht auf fossile Energieträger zu ermöglichen.

Dr. Burkhard Schulze Darup von Schulze Darup & Partner in Berlin appellierte an das Publikum, das klimaneutrale Bauen voranzutreiben. Anhand eines Beispiels zeigte er Mehr- bzw. Minderinvestitionen von energetisch anspruchsvollen Standards im Vergleich zum Mindeststandard der EnEV auf. Ergänzend zu den Investitionen wurde die Fördergeldhöhe der unterschiedlichen Gebäudestandards dargelegt. Herr Schulze Darup beendete seinen Vortrag mit einem Aufruf zu einer höheren Förderung der energetisch anspruchsvollen Standards und zu einem Handeln mit Blick auf die kommenden Generationen.

Trends in der Wohnungswirtschaft wurden von Dr. Ingrid Vogler vom Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen e.V. GdW, präsentiert. Trotz des geringen Treibhausgaspotentials sah sie aufgrund der erhöhten Kosten höchste Effizienzstandards nicht als Breitenlösung. Frau Dr. Vogler plädierte vielmehr für eine treibhausgasfreie Energieversorgung, um die Klimaneutralität des Gebäudebestands zu erreichen.

Prof. Dr. Thomas Lützkendorf stellte Perspektiven der Lebenszyklusanalyse und Auswirkungen auf das Effizienzhaus Plus vor. Professor Lützkendorf gab einen kurzen Einblick in die Lebenszyklusmodellierung von Gebäuden. Zudem sprach er an, dass höchste Effizienzstandards unter Betrachtung des gesamten Lebenszyklus gegebenenfalls höhere Umwelteinwirkungen aufweisen und damit Optimierungspotential beinhalten könnten. Am Ende seiner Präsentation sprach sich Professor Lützkendorf für verbindliche Anforderungen hinsichtlich der energetischen Lebenszyklusanalyse von Gebäuden bis 2025 aus. 

In einem Tandemvortrag stellten Heike Erhorn-Kluttig und Jessica Preuss vom Fraunhofer-Institut für Bauphysik (IBP) Erkenntnisse aus der Begleitforschung zu Effizienzhaus Plus-Wohngebäuden und -Bildungsbauten vor. Die Wohngebäude wurden im Mittel mit einer um ca. 40 % besseren Ausführung des Wärmeschutzniveaus im Vergleich zum EnEV-Referenzgebäude erstellt, meist über Wärmepumpen beheizt und mit einer mittleren Photovoltaikfläche von 0,4 m² PV je m² beheizte Nettogrundfläche (NGF) ausgeführt. Die Mehrkosten gegenüber der EnEV 2009 betrugen durchschnittlich rd. 330 €/m² beheizte NGF. Die Bildungsbauten wurden im Mittel mit einer um ca. 50 % besseren Ausführung im Vergleich zum EnEV-Referenzgebäude und einer mittleren PV-Fläche von etwa 0,3 m² PV je m² beheizte NGF geplant. Der Heizwärmebedarf von allen untersuchten Gebäudekonzepten wurde zumindest anteilig von Wärmepumpen gedeckt. Da sich einige Effizienzhaus Plus-Bildungsbauten noch in der Bauausführung befinden, steht die Querauswertung der Monitoring-Daten bzw. der Kosten für diese Gebäudekategorie noch aus. Alle Ergebnisse der Begleitforschung werden auf der Webseite der Effizienzhaus Plus Initiative veröffentlicht.

Dr. Olaf Böttcher, Energiebeauftragter für Bundesbaumaßnahmen und Referatsleiter im BBSR, präsentierte mit dem „Haus 2019“ das erste Netto-Null-Energie-Bürogebäude des Bundes. Er legte den Schwerpunkt seiner Präsentation auf die durchgeführten Maßnahmen zur Qualitätssicherung und zur Mängelbeseitigung im fertiggestellten Gebäudes mithilfe von Monitoring. Da das teils sehr aufwendige Prozedere nicht für alle Neubauten realisierbar sei, schloss Herr Dr. Böttcher mit dem Appell, dass insgesamt auf eine höhere Qualität bei der Bauausführung geachtet werden sollte.

Das energy+Home 2.0 stellte Dr. Annekatrin Koch von der Technischen Universität Darmstadt unter dem Thema „Effizienzhaus Plus im bewohnten Geschosswohnungsbau“ vor. Am Beispiel eines Mehrfamilienhauses wurden drei Sanierungsszenarien und deren jeweilige Umweltauswirkungen über den gesamten Lebenszyklus dargestellt. Frau Dr. Koch endete ihren Vortrag mit generellen Empfehlungen hinsichtlich des Betriebs, der Baustoffe, der Konstruktion und der Technik für das Erreichen eines klimaneutralen Gebäudebestands.

Milica Jeremic, Leiterin des städtischen Gebäudemanagements Ulm (ehemalig Projektleiterin bei Vermögen und Bau Baden-Württemberg) gab einen Einblick in das Bauvorhaben des Ersatzneubaus für die Hochschule Ulm. Sie berichtete von der anfänglichen Herausforderung, den hoch gesteckten Nutzeranforderungen sowie dem Effizienzhaus Plus-Standard des Gebäudes mit einer beheizten Nettogrundfläche von etwa 10.000 m² innerhalb kurzer Frist gerecht zu werden. Nach einer zweijährigen Bauzeit, soll das Gebäude zum Ende des Jahres 2020 in Betrieb genommen werden. Die Einhaltung des strengen Zeitplans ist gemäß Frau Jeremic insbesondere der besonderen Motivation und engen Zusammenarbeit aller Projektbeteiligten zu verdanken.

Jens Kaiser von der TU Dresden präsentierte das Monitoring des Gymnasium Neutraubling. Nach einer kurzen Vorstellung der Bau- und Sanierungsmaßnahmen sowie des Energiekonzepts der Schule, erläuterte er das Monitoring-Konzept eingehend. Auf einer Web-Plattform werden die Monitoring-Daten öffentlich zugänglich bereitgestellt. Die visuelle Aufbereitung der Daten sowie das Online-Betriebstagebuch sollen zur Betriebsoptimierung und letztlich zur Plusenergiebilanz des Gebäudes im Betrieb beitragen. Herr Kaiser sprach auch Herausforderungen und Hemmnisse des Monitorings an und betonte die Notwendigkeit das Monitoring früh in den Projektablauf zu integrieren.

In der abschließenden Podiumsdiskussion beteiligten sich Vertreter aus dem Bundesbauministerium (Frau Alten), der Forschung (Herr Prof. Dr. Fisch), der Planung (Herr Friemert), der Wohnungswirtschaft (Herr Gedaschko), der Kommunen (Herr Dr. Görres) und der Baubranche (Herr Lange). Während sich das Podium durchgängig einig war, dass Effizienzhaus Plus-Gebäude ein wichtiger und zwingend notwendiger Schritt in Richtung eines klimaneutralen Gebäudebestands seien, wurde leicht kontrovers über die Bezahlbarkeit und Hemmnisse ambitionierter Energiestandards als Breitenlösung diskutiert. Angesprochen wurden hier unter anderem die investiven Mehrkosten solcher Energiestandards, der variierende Nutzereinfluss auf den Energieverbrauch im Gebäudebetrieb, eine wünschenswerte zentrale treibhausgasfreie Energieerzeugung sowie die fehlende Definition eines klimaneutralen Gebäudes.

Mithilfe eines Votings wurde das Publikum während der Veranstaltung miteinbezogen. Die Ergebnisse der Abfrage zeigten, dass die Mehrheit der Besucher schon mehrmals an einem Netzwerktreffen teilgenommen hatte und etwa ein Drittel der Besucher bereits praktische Erfahrungen in der Planung oder Bauausführung von Effizienzhaus Plus-Gebäuden sammeln konnte. Eine weitere Meinungsabfrage erwies, dass die folgenden Themen bezogen auf das Effizienzhaus Plus das Publikum besonders interessieren: Ausweitung der Förderprogramme, weiterer Forschungsbedarf, Kosten und Hemmnisse. Über 80% der Teilnehmer gaben an, dass die Veranstaltung ihre Erwartung voll bis vollumfassend erfüllt hat. Alle Teilnehmer, die abstimmten, würden sich über die Fortführung der Veranstaltungsreihe freuen.