Newsletter 03 - Projektbereisungen

Liebe Leserin, lieber Leser.

Seit März wurden bereits neun Modellvorhaben besucht. Das Team der Begleitforschung und des BBSR hat sich am 6. und 7. August 2018 gleich zu vier Modellvorhaben aufgemacht. Dieser Newsletter berichtet von beispielhaften Reiseeindrücken. Eine Bereisung der Modellvorhaben ist ja immer dann besonders sinnvoll, wenn ein „Meilenstein“ erreicht wurde - anfangs sind das zum Beispiel die Fertigstellung des Rohbaus oder doch zumindest maßgebliche Baufortschritte, die Montage von Fertigteilelementen, der Einbau von Raummodulen. Aber auch wenn die Baustelle noch unspektakulär erscheint: wichtig ist die Bereisung dennoch, denn man lernt sich vor Ort kennen, vor allem aber auch: das Modellvorhaben erhält „ein Gesicht“, verschafft eine räumliche Atmosphäre und vermittelt einen Ort.

Viele Grüße
Ihr Team der Begleitforschung

Vielfältige Einheitsplatte: WBS-70/G bei der ehemaligen Zahnklinik

Die zweitägige Reise begann am 6. August in Erfurt bei der ehemaligen Zahnklinik. Das mächtige Gebäude birgt viele Vorteile. Was den Standort anbelangt: es ist nicht nur in fußläufiger Nähe zu universitären Einrichtungen gelegen, sondern auch Innen- und Altstadt sind mit Straßenbahn und Bussen nach wenigen Haltestellen erreichbar.

Und was die Konstruktion betrifft, so bietet die Montagebauweise in WBS-70 / G-zahlreiche Potentiale. Die Ausführung erfolgte in einer hochwertigeren Qualität als für den Wohnungsbau üblich? So wurden beispielsweise zur Aufnahme der Fassadenplatten Edelstahlanker verwendet, daher ließen sich keinerlei Beeinträchtigungen durch Rostschäden an der Fassadenkonstruktion erkennen. Sie ist intakt und bleibt weiterhin einsatzfähig. Und anders als beim üblichen WBS-70 Tragwerk gibt es hier keine aussteifenden Wandscheiben in Querrichtung, sondern Stützen, in die Tröge eingehängt sind. Das erlaubt einen weitestgehend freien Raumausbau. Letztlich unterstützen nur drei Wandscheiben die Aussteifung.

Eine besondere räumliche Qualität bietet das Treppenhaus. Es ist fast vollflächig verglast und lässt viel Tageslicht in den Erschließungsbereich. Zusätzliches (Kunst-)Licht inszeniert auch die Treppenpodeste: die Geländer enthielten Lichtelemente. Sie sollen wiederhergestellt werden. Auch die Treppen- und Podestbeläge aus Betonwerkstein werden erhalten, sie sind daher mit Bauplatten geschützt - gleichwohl müssen später Maßtoleranzen von bis zu 50 mm ausgeglichen werden.

Der 11-Geschosser fällt allerdings unter die Hochhausrichtlinie. Das wirkt sich vor allem auf den Brandschutz aus. Neben zahlreichen F-90-Ausführungen sind eine Trockenleitung für das Löschwasser und ein Feuerwehraufzug nötig. Der Ausstieg wurde bereits in allen Etagen vorbereitet. Besonderes Augenmerk war auf die neue Micro-Pfahlgründung zu richten, denn der Baugrund ist sehr weich. Auch die tragenden Innenwände mussten neu gegründet werden, da der Untergrund aus ca. 30 mm Magerbeton, 1 m Bauschutt und der Bodenplatte darüber nicht ausreichend tragfähig ist.

Mehr Aufwand als gedacht: Das Tragwerk des ehemaligen Blutspendezentrums hat seine Tücken

Einige Überraschungen bot das ehemalige Blutspendezentrum vis-à-vis, als es entkernt und der Rohbau sichtbar war. Der Mauerwerksbau aus den 1960er Jahren ist teilweise doch nicht so solide ausgeführt, wie es zunächst den Anschein erweckte. Die Bestandsaufnahme weist unterschiedliche Deckenkonstruktionen auf, die man gleichzeitig verbaut hatte. Die Decken mussten daher stichprobenartig geöffnet und analysiert werden.

Teilweise schwächen nachträgliche Leitungsschlitze das Mauerwerk. Sie verlaufen diagonal, horizontal und vertikal - so wie es die zwischenzeitlichen Umbauten erforderten. Mit KS-Steinen muss die vorhandene Mauerwerkskonstruktion teilweise ertüchtigt und ergänzt werden. Stahlrahmenkonstruktionen stabilisieren die partiell rückgebauten tragenden Innenwände. Dennoch: Der Mauerwerksbau ermöglicht eine freie Raumaufteilung und die Außenwände erhielten bereits neue Fenster.

Standortentwicklung Jena

Im Anschluss traf man sich in Jena, dort wird ein Neubau realisiert - als Pendant zum Wohngebäude für Studierende, das bereits auf der gegenüberliegenden Straßenseite seit vier Jahren in Betrieb ist. Die Lage bietet eine gute Infrastruktur und sogar einen überregionalen Bahnhof in fußläufiger Entfernung.
 
Das ehemalige Bahngrundstück am Nordrand des Stadtzentrums, das seit vielen Jahren brach liegt, wurde bereits teilerschlossen und mit einem Café und kleineren Büro- und Gewerbegebäuden wiederbelebt. Städtebaulich reagiert der neue Gebäudekomplex auf sein Umfeld: Die 5-geschossige Bebauung auf der Ostseite schützt vor Schallimmissionen durch den Bahnverkehr. Ein 8-geschossiger Baukörper wird die bauliche Anlage nach Norden zum geplanten Gewerbe- und Mischgebiet abschließen. Wie sein Nachbar orientiert auch das Modellvorhaben die Apartments um einen Innenhof. Die Erschließung erfolgt mit einem Laubengang. Das spart Verkehrsfläche, ermöglicht eine rollstuhlgerechte Erschließung der Apartments und vermeidet ein zusätzliches Treppenhaus.

Wie bei einigen anderen Modellvorhaben auch, hat man sich für eine Bauweise aus Betonhohlelementen entschieden („Filigrandecken" und "-wände“), zusammen mit dem Trockenausbau spart das Bauzeit. Auch die Gründung ohne Kellergeschoss spart Zeit und Kosten. Auf das Kellergeschoss musste man verzichten, da im anschließenden Bahngelände Bunkerreste gefunden wurden und die Nähe der Saale einen schwierigen Baugrund aus Fels und Sand verursacht. Die Mehrkosten für spezielle Gesteinsbohrer hielten sich in Grenzen. Der B-Plan sieht besondere Schallschutzmaßnahmen an der Ostseite zur Bahnlinie hin vor. Hier betragen die Schallschutzanforderungen 47 dB - an allen anderen Fassaden 42 dB. Deshalb werden die Fenster statt mit Regel-Air mit außenliegenden Lüftungselementen ausgestattet.

Bauherr und Projektsteuerer aller drei Modellvorhaben sind die gleichen. Es stehen also gleich dreifache Erfahrungen mit dem Vario-Wohnen-Programm zur Diskussion. Im Gespräch berieten die Akteure mit der Besuchergruppe über ihre Erfahrungen mit innovativen Planungsmethoden. Die Grenzen von BIM im Planungsprozess bei der Umnutzung einer Bestandsimmobilie wurden erörtert und diskutiert.

Fazit: Zwar erfolgte die Bauaufnahme mit Hilfe von 3-D-Scans und Photogrammetrie, doch beinhalten Bestandsimmobilien oft Überraschungen - zum Beispiel ist es mitunter schwierig die Bewehrung oder gleich ganze einzelne Bauteile zu lokalisieren. Das kompliziert die Verwendung von BIM. Auch der Bauprozess barg Komplikationen: Auf die Ausschreibung der Bauleistungen folgten nur wenige Angebote und zudem noch mit großen Preisspannen, so dass man in Folge die Lose teilte und beispielsweise für die Geschosse 1 bis 4 und 5 bis 10 bei der ehemaligen Zahnklinik zweigeteilte Ausschreibungen durchführte.

Ein Quartier im Aufwind: Impulse aus der studentischen Gemeinschaft

Ähnlich wie in Jena hatten die Planer aus Chemnitz ebenfalls Schwierigkeiten mit dem Baugrund. Von dem organischen Material mussten 4 bis 6 abgetragen und ausgetauscht werden. Aufwendig war auch die Kampfmittelbergung. Zusätzlich wären eine Pfahlgründung und wegen des hohen Grundwasserstands eine "weiße Wanne" nötig gewesen - daher verzichtete man auf das Kellergeschoss. Im HAR genügt jetzt ein Pumpensumpf und die Funktionsräume werden im Erdgeschoss untergebracht. Hier entsteht straßenseitig auch ein Café, dessen Betreiber wird die studentische Gemeinschaft sein - eine jener Maßnahmen, die zur Wiederbelebung der ehemaligen Einkaufs- und Flaniermeile "Brühl" beitragen. Die ersten Schritte wurden mit dem verkehrsberuhigten Ausbau zur Spielstraße unternommen.

Von der gründerzeitlichen Bebauung übernahmen die Architekten die Fassadenproportionen und die Traufkante. Das Gebäude schließt eine Ecke. Wie bei fast den meisten Modellvorhaben entschied man sich für eine Bauweise aus Filigrandecken und -wänden. Der Grundstückszuschnitt machte die Planung mit seriellen Betonhohlelementen nicht gerade einfach, denn die Grundrisse konnten kaum orthogonal entworfen werden. Doch gegenüber einer Montagebauweise mit Fertigelementen werden die Filigranwände als Halbfertigteile vor Ort vergossen, das schafft auch noch einen gewissen Spielraum für nachträgliche Anpassungen. Die Halbfertigteile werden nach Plan angeliefert. Sie enthalten alle Durchbrüche für Installationsverläufe sowie Aussparungen und auch Vorrichtungen für spätere Türdurchbrüche im Rahmen des Variokonzeptes.

Durch eine Durchfahrt gelangt man in den für einen innerstädtischen Bereich typisch engen Innenhof. Sie erleichtert die Anlieferung für das Café und den Zugang zu den Müllcontainern. Daher wurden aber auch die hofseitigen Fensteröffnungen verkleinert, denn sie bieten allemal keinen attraktiven Ausblick - der ist bei Nutzungen wie Fahrradabstellräumen aber auch nicht erforderlich. Anders verhält es sich mit der Straßenseite: hier schafft ein bodentiefes Fenster je Raum - teilweise in Verbindung mit einem Balkon - eine besondere räumliche Qualität und Außenbezug ins Gründerzeitquartier.

Allerdings ist dies verbunden mit der Gefahr einer sommerlichen Überhitzung, denn gemessen an der Verglasungsfläche sind die Räume doch recht klein und besitzen zudem wenig thermische Speichermasse. Die Forscher simulierten mit einem IDA-ICE-Modell die besonders kritischen Räume mit dem Ergebnis, dass Sonnenschutzglas mit einem Gesamtenergiedurchlassgrad von g=0,3 eingesetzt wird - umlaufend wegen Farb-Einheitlichkeit. Der Fitnessraum im Staffelgeschoss erhält einen außenliegenden Sonnenschutz. Er wird von der Straße aus nicht sichtbar sein. Zwei Räume bekommen zusätzlich einen Blendschutz. Überraschungen gab es auch beim Nachbargiebel: er musste nachträglich gesichert werden - und das erschütterungsfrei. Beim Bauen in einem Bestandsquartier ist eine solche Maßnahme jedoch nichts Neues, und so kam es deswegen zu keinen nennenswerten Verzögerungen. Bei der Baustellenbegehung waren die Rohbauarbeiten am 2. Obergeschoss fast fertiggestellt. Geschoss für Geschoss verkürzt sich die Bauzeit. Es fehlen nur noch das 3. Obergeschoss und das Staffelgeschoss, dann kann zum Richtfest eingeladen werden.

Die Besuche bei den vier Modellvorhaben hinterließen nicht nur vielfältige Eindrücke, sondern boten auch Gelegenheit sich auszutauschen. In den Gesprächen kam auch zum Ausdruck, es sei den Akteuren vor Ort ein Anliegen, ihre Erfahrungen mit dem Modellvorhaben weiterzugeben - die nächstliegenden guten Gelegenheiten bieten hierzu das Netzwerktreffen am 20. September und einen Tag später, am 21. September, das Symposium.

Anmeldungen sind noch möglich unter.

Noch mehr Bilder und Impressionen finden sich auf der Website im neu eingerichteten Baublog.

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Verantwortlicher Herausgeber des Newsletters ist das Team der Begleitforschung Variowohnungen.