Entwicklung und Testung der Anlagen- und Steuerungstechnik für eine speicherfreie Nutzung der Wärme aus einer Bioreaktorfassade in einem Wohnhaus


Projektnummer
10.08.18.7-16.05
Projektbeginn
04.2016
Projektende
07.2018
Projektstatus
abgeschlossen mit Bericht

Ergebnisse

Im BIQ das Algenhaus (Hamburg Wilhelmsburg) wurde 2013 auf einer 200 qm Fassadenfläche erstmals eine Bioreaktorfassade realisiert, mit der Wärme und Biomasse produziert werden kann. Allerdings konnte bisher die Wärme aus dieser Fassade in dem Wohnhaus mit 15 Wohneinheiten nicht sinnvoll genutzt werden.
Im vorliegenden F&E Projekt soll nun ein Energiekonzept entwickelt, anlagen- und steuerungstechnisch umgesetzt und über ein Jahr getestet werden, mit der die Wärme aus der Fassade direkt für die Deckung des Warmwasserbedarfs genutzt werden kann. Damit verbunden ist eine deutliche Steigerung der Wirtschaftlichkeit der Bioreaktorfassade, wodurch die Technologie konkurrenzfähig zu Photovoltaik und Solarthermie werden könnte.

Projektbeteiligte
Antragsteller/in :

SSC Strategic Science Consult GmbH
Beim Alten Gaswerk 5
22761 Hamburg

Federführende/r Forscher/in (alternativ Sprecher/in) :

SSC Strategic Science Consult GmbH

Dr. habil. Martin Kerner

Beim Alten Gaswerk 5

22761 Hamburg

Fachbetreuer/in im BBSR :

Steffen Kisseler, i. A. WB 3

Eckdaten
Schlagworte zum Projekt : Warmwasserbereitung, Bioreaktorfassade, Mikroalgen, Wirtschaftlichkeit
Einordnung in Zukunft Bau : Forschungsförderung, Gebäudegrün, Monitoring/ Gebäudeautomation, Energieeinsparung/ -gewinnung, Forschungsbericht
Bundesförderung in EUR : 115.162,23
Der Weg zur Innovation

Ziel und praktischer Nutzen des Forschungsprojekts

Wie lassen sich Mikroalgen technologisch in Gebäudefassaden integrieren und nutzen? - Antworten darauf gibt die Bioreaktorfassade, die über mehrere Forschungsprojekte konzipiert und weiterentwickelt wurde. Ziel der Bioreaktorfassade ist es, Biomasse zu erzeugen, erneuerbare Energie zu gewinnen und CO2 zu speichern, Wärme zur direkten Nutzung im Gebäude zu erzeugen und zu Licht-, Kälte-, Wärme- und Schallschutz beizutragen.1

Hier vorgestellt wird das Projekt "Steuerungstechnik für eine speicherfreie Nutzung der Wärme aus einer Bioreaktorfassade in einem Wohnhaus", das 2016-2018 von Strategic Science Consult (SSC) GmbH²  durchgeführt wurde. Dieses Projekt adressierte folgende Themenstellung: Die erzeugte Wärme in Bioreaktorfassaden lässt sich bislang nur zeitlich versetzt nutzen und bedarf einer Zwischenspeicherung im Erdreich. Um von der Wärme aus der Bioreaktorfassade direkt und maximal profitieren zu können, wurde ein neues Energiekonzept entwickelt, ohne die Produktion von Mikroalgen zu beeinträchtigen. Basierend auf dem Monitoring des Vorgängerprojekts wurde das bestehende Warmwasserkonzept erweitert, die Heizungsanlage entsprechend modifiziert und die notwendige Steuerung(ssoftware) entwickelt. Das anschließende Monitoring ermöglichte eine iterative Optimierung der neuen Steuerungstechnik.

Somit wurde im hier dargestellten Projekt auf der Basis bestehender Vorerfahrungen (Abbildung 3-1) ein Steuerungssystem entwickelt und erprobt, das Wärme- und Biomasseproduktion in einer Bioenergiefassade optimiert, wobei die erzeugte Wärme direkt zur Trinkwasser- und Wärmeversorgung im Haus genutzt wird. Zentrales Untersuchungs- und Demonstrationsobjekt ist das smart material house BIQ in Hamburg, in das die weltweit erste Bioenergiefassade integriert und das auf der Internationalen Bauausstellung (IBA) 2013 in Hamburg vorgestellt wurde.³

 

[1]       https://0d3a9bd6-13a0-4aa0-826a-e71da16de38c.filesusr.com/ugd/50a814_c9d0e2aea32d46df927842aab113a5c6.pdf.
[2]       www.ssc-hamburg.de.
[3]       Vgl. 0d3a9bd6-13a0-4aa0-826a-e71da16de38c.filesusr.com/ugd/50a814_06324470e1b4451c938e17b98e8a8577.pdf , https://0d3a9bd6-13a0-4aa0-826a-e71da16de38c.filesusr.com/ugd/50a814_3f3fc9027db340f591a020a150bd84d5.pdf, https://www.internationale-bauausstellung-hamburg.de/projekte/bauausstellung-in-der-bauausstellung/smart-material-houses/projekt/smart-material-houses.html, www.internationale-bauausstellung-hamburg.de/projekte/bauausstellung-in-der-bauausstellung/smart-material-houses/biq/projekt/biq.html.

Abbildung 3-1: Das hier dargestellte Projekt im Kontext der Projektlinie zur Nutzung von Photobioreaktoren für die Energieerzeugung

Werdegang von der Idee zum Projekt

Strategic Science Consult GmbH arbeitet seit Anfang 2008 an Forschung und Entwicklung zur großtechnischen Kultivierung von Mikroalgen. Mitte 2008 konnte eine erste Pilotanlage in Hamburg eingesetzt werden, und seit Ende 2010 werden die Arbeiten der SSC GmbH   speziell die Entwicklung der Bioreaktorfassadentechnologie unter Einsatz von Mikroalgen   über die Zukunft Bau Forschungsförderung gefördert. Der Geschäftszweck des Unternehmens wird in der Entwicklung innovativer Technologien und Verfahren bis zur Marktreife gesehen. Hierbei kommt öffentlichen Fördermitteln eine hohe Bedeutung zu, denn Strategic Science Consult GmbH ist in einem technologischen Feld mit einem kurzen Innovationszyklus von der Neuentwicklung bis zur Marktreife (rund sechs Jahre) tätig.

Das Unternehmen verfolgt die Vision einer gleichzeitig nachhaltigen und wirtschaftlichen Wärmeversorgung sowie der Gestaltung von Gebäudefassaden als multifunktionale Systeme. Daher führt Strategic Science Consult GmbH seine Forschungs- und Entwicklungsarbeiten zumeist in Kooperation mit Forschungseinrichtungen, Universitäten und Industrieunternehmen und unter Einbindung von Studierenden im Rahmen von Praktika und Masterarbeiten durch. Das vorgestellte Projekt basierte auf einer sehr fruchtbaren losen Kooperation mit dem Institut für Gebäude- und Solartechnik der Technischen Universität Braunschweig.

Als Grundlage der im Forschungsprojekt entwickelten Innovation kann die Vision des Unternehmens   Technologieentwicklung als Beitrag zu Nachhaltigkeit und Ressourceneffizienz in Städten   betrachtet werden. Konkreter Ansatzpunkt dieser Grundidee ist die Kombination von effizienter Technik und Bauästhetik in der Gestaltung von Gebäudefassaden mit integrierter Energiegewinnung und Produktion von Biomasse. Sehr förderlich in diesem Prozess war die Bereitstellung einer Pilotanlage in Hamburg-Reitbrook durch die Stadt Hamburg, somit die Bereitstellung von Produktionsmitteln zur Durchführung von Forschungsarbeiten durch die Stadt. Auch die Zusammenarbeit mit Forschung und Industrie einschließlich der Betreuung von und Kooperation mit motivierten Studierenden werden als förderlich für die Generierung und Weiterentwicklung innovativer Ideen betrachtet.

Weiteres Schlüsselelement war das Referenzprojekt des BIQ-Hauses in Hamburg, in dessen Rahmen die Bioenergiefassade eingesetzt und evaluiert werden konnte. Die in diesem Vorgängerprojekt (vgl. Abbildung 3 1) erlangten Ergebnisse gingen in das hier betrachtete Projekt ein, in dessen Kern die Optimierung der Wärme- und Biomasseproduktion sowie die Entwicklung und Erprobung eines softwarebasierten Steuerungssystems stand. Inhaltlich-technologisch wurde die Fragestellung der Harmonisierung von mikrobiologischem und physikalischem Fassadensystem betrachtet und damit zur Verbesserung der zuvor entwickelten Anlagen und Verfahren beigetragen. Auf dieser Basis wurde eine Software zur Anlagensteuerung entwickelt und eingesetzt, und das selbst gesteckte Projektziel konnte vollumfänglich erreicht werden. Das entwickelte Anlagen- und Steuerungssystem kann für Bioenergiefassaden unterschiedlicher Größe und Ausrichtung genutzt werden.

Werdegang nach Ende der Projektförderung

Die sukzessive Weiterentwicklung der Bioenergiefassaden-Anlagetechnik mündete über die Gründung des Tochterunternehmens cellparc GmbH in die direkte Umsetzung und Vermarktung. Der Kompetenz- und Aktivitätsschwerpunkt liegt auf der Vermarktung, während SSC weiterhin auf Forschung und Entwicklung ausgerichtet ist. Die von cellparc angebotenen Leistungen umfassen die Entwicklung des Energiekonzepts, die automatische Anlagensteuerung sowie das Betreiberkonzept des betreffenden Gebäudes. Der gegenwärtige Kundenstamm rekrutiert sich aus Privatkunden sowie großen Firmen.5  Wenngleich SSC und cellparc technisch-wirtschaftlich autonom agieren, so bestehen doch enge Kooperationen und Rückkopplungen, wodurch die Forschungs- und die Umsetzungsseite eng miteinander verbunden bleiben. Damit kann der gesamte Innovationsprozess als sowohl forschungs- als auch marktgetrieben bezeichnet werden: die Nachfrage resultiert aus einem zunehmenden Bedarf an nachhaltigen und ressourceneffizienten Lösungen seitens privatwirtschaftlicher Kunden, der durch fokussierte Forschungs- und Entwicklungsarbeiten unter Nutzung der öffentlichen Projektförderung adressiert wird. Die FuE-Arbeiten werden pilotiert und getestet, kontinuierlich verbessert und in die Marktanwendung überführt. Insgesamt kann somit von einem forschungsgetriebenen, rückgekoppelten Innovationsprozess über die Gesamtlinie der Förderprojekte gesprochen werden. Neben der öffentlichen Förderung waren und sind die beiden Pilotanwendungen wichtige Schlüsselfaktoren und Treiber. Insbesondere das BIQ-Haus, in dem die entwickelte Anlage technisch erstmals umgesetzt wurde, und dessen Präsentation im Rahmen der Internationalen Bauausstellung hat eine hohe Bedeutung sowohl als Referenz- und Anschauungsobjekt, aber auch im Hinblick auf die Öffentlichkeitsarbeit4  und Medienwirksamkeit   Informationsmaterial, Interview, Videos   der entwickelten Technologie.

[4]      cellparc.com.
[5]      vgl. auch www.karrierefuehrer.de/naturwissenschaften/biq-das-algenhaus.html, www.deutschlandfunk.de/oekohaus-mit-algenproduktion-die-technik-funktioniert-der.676.de.html, www.daserste.de/information/wissen-kultur/w-wie-wissen/algen-116.html.

Der Weg in die Praxis

Die Forschungsarbeiten und die daraus resultierende Technologie hat eine hohe Bedeutung sowohl für das Unternehmen SSC GmbH als auch auf Seiten des Marktes. Unternehmensintern wird die im Rahmen des dargestellten Projekts entwickelte Software zur Anlagensteuerung genutzt und stellt die Kernvoraussetzung für die Vermarktung des Systems dar. Nicht zu unterschätzen ist ferner der Zugewinn an Kompetenz und Expertise im Projektteam   im Wesentlichen erzielt durch die eigene Programmierung der Software (im Vergleich zur ursprünglich vorgesehenen externen Vergabe dieser Leistung). Diese Entscheidung führte zum Aufbau einer Abteilung für Steuerungstechnologie im Unternehmen und ist nunmehr ein wichtiger Wettbewerbsaspekt in der unternehmerischen Marktpositionierung. Da die Anlagensteuerung rund 30 Prozent der Anlagenkosten und Wertschöpfung ausmachen, ist dieses Element unmittelbar umsatzrelevant. Markteffekte ergeben sich insbesondere über die Gründung des Tochterunternehmens cellparc GmbH im Juli 2019, das derzeit mit ersten potenziellen Kunden im Hinblick auf konkrete Aufträge in Austausch steht.

Zusätzlich zur Marktumsetzung der entwickelten Technologie gingen die Ergebnisse der Förderprojekte in wissenschaftliche Publikationen ein.6  Auch mündete die entwickelte Technologie in Patentanmeldungen beim Europäischen Patentamt.7

Aufgrund der Einbindung von Master- und Bachelorstudenten in die FuE-Projekte leistete die SSC einen wesentlichen Beitrag zur praxisnahen wissenschaftlichen Ausbildung von Nachwuchskräften.

[6]  Eine Übersicht findet sich unter www.ssc-hamburg.de/hybridsysteme.
[7]  vgl. Europäische Patentanmeldung EP 2 228 432 A1 "Bioreaktor und Verfahren zum Betrieb eines Bioreaktors", Veröffentlichung: 15.09.2010, Anmelder: SSC Strategic Science Consult GmbH, Erfinder: Kerner, Martin, patents.google.com/patent/EP2228432A1/de; Europäische Patentanmeldung EP 2 359 682 A1 "Fassadenelement, Fassadenkonstruktion und Gebäude", Veröffentlichung: 24.08.2011, Anmelder: Ove Arup and Partners International Limited London und SSC Strategic Science Consult GmbH, Erfinder: Wurm, Jan und Kerner, Martin, patents.google.com/patent/EP2359682A1/de.

Erfolgsfaktoren und Hemmnisse

Die generell hohe Kooperationsneigung sowohl mit exzellenten Forschungseinrichtungen als auch Industrieunternehmen und der Wissensaustausch mit Studierenden werden als wichtige Erfolgsfaktoren für die technologische Entwicklung betrachtet. Wenngleich das Förderprojekt zur speicherfreien Wärmenutzung aus einer Bioreaktorfassade formal kein Verbundvorhaben darstellte, so erfolgte doch eine (lockere) Einbindung der Technischen Universität Braunschweig, einschließlich eines für beide Seiten gewinnbringenden Austauschs mit Fachkolleginnen und -kollegen. In Bezug auf Kooperationen mit privatwirtschaftlichen Unternehmen werden die Universitäten in ihrem Interesse und Engagement unterschiedlich wahrgenommen; teilweise wird ein lediglich moderates Interesse konstatiert. Dies kann insbesondere Auswirkungen auf die Einbindung von (Master-) Studierenden in die Arbeit von SSC als Privatunternehmen haben und ist Gegenstand vertraglicher Regelungen mit den betreuenden Hochschuleinrichtungen. Eine hohe universitäre Offenheit bezüglich externer Gastwissenschaftlerinnen und Gastwissenschaftler, die ihre Abschlussarbeiten in der Privatwirtschaft durchführen, wird durch SSC als gewinnbringend für Technologieentwicklung und Wissensaustausch angesehen. Hier kann das Unternehmen auf äußerst positive Erfahrungen zurückgreifen.

Generell profitiert die kollaborative Forschungsarbeit durch die räumliche Nähe der Kooperationspartner. Auch die erweiterten Möglichkeiten, (Pilot-)Anlagen und Einrichtungen gemeinschaftlich durch alle Kooperationspartner nutzen und damit die eigenen Kapazitäten erweitern zu können, werden als wichtiger Erfolgsfaktor angesehen. Dies ist insbesondere im Hinblick auf kontinuierlich aufkommende neue Fragen im FuE-Prozess relevant. Nicht zu vergessen sind die Förderbedingungen von "Zukunft Bau": Sowohl Ablauf und Verwaltungsaufwand der Förderung als auch das Format der Projekttreffen, die eine gute Basis für Austauschprozesse darstellen, werden positiv bewertet.

Insgesamt werden die eigenen Erfahrungen und das Vorgehen im Förderprojekt als erfolgreich angesehen. Ein zu hinterfragender Aspekt betrifft den hohen Anteil der Reinvestition in weitere FuE-Projekte, der zwar der Grundphilosophie des Unternehmens entspricht, sich andererseits aber nicht in der Unternehmensbilanz widerspiegelt und somit zu begrenztem finanziellen Spielraum für Nachfolgeaktivitäten führt. Auch ist von Zukunft Bau zu berücksichtigen, dass eine komplexe Technologie wie die Bioenergiefassade nur mittelfristig am Markt etabliert werden kann und spezielle Förderprogramme für die Etablierung von großtechnischen Demoanlagen hilfreich wären.