Zukunft Bau Kongress 2019: Referentinnen und Referenten
Stephan Petermann, OMA/AMO
UN/SUSTAINED
"Why do we lack progress in cultural research in architecture? We currently lack the space to honestly debate this, even in the most public country I know, Germany. This makes me nervous.”
Industry standards suggest the redesign of office environments every 7 to 10 years, managerial strategies change every 5 years and employee turnover every 2 years. These cycles are in strong opposition to the lifespan of building materials, which can last thousands of years. In addition to reassuring clients and investors of their stability, offices are increasingly spaces of explicit well-being and happiness, of social interaction, and persistently heightened financial expectations. The workspace becomes the center of our lives as the office has ceased to be a discrete entity remote from home. UN/SUSTAINED focuses on the aging of iconic, at one time exemplary office buildings. Our preliminary research shows that some of these buildings have aged much better than others. Where some still look relatively untouched, some are barely recognizable after just 30 years. We hardly know anything about what drives the changes that occur in these buildings and what could be learned from their lifetime?
Prof. Linda Hildebrand, RWTH Aachen
Perspektive Zirkularität im Bauwesen
"Um ein globales Problem anzugehen, braucht es Strategien, die über Einzellösungen hinausgehen; Zentral sind klimafreundliche Rahmenbedingungen, die Vernetzung von Akteuren und das Denken in verschiedenen Nutzungszyklen."
Umweltaspekte haben in den letzten fünf Dekaden Gebäude auf verschiedene Weise beeinflusst. Neue Typologien wurden entwickelt (wie z.B. das Passiv- oder das Aktivhaus), ebenso verändern technische und digitale Komponenten die Art wie Gebäude genutzt und auch geplant werden. Anfang dieser Dekade wurden vor allem auf EU- Ebene klimarelevante Ziele für Gebäude definiert, deren Erreichen immer weiter in die Zukunft geschoben wird, obwohl die nächsten zehn Jahre von entscheidender Bedeutung für die Beeinflussung des Klimas sind.
Technische Entwicklungen, ebenso wie Planungswerkzeuge zur Umsetzung von Energieeffizienz tragen einen wesentlichen Beitrag zur Reduzierung der Umweltwirkungen des Bausektors bei. Die Digitalisierung ermöglicht die Quantifizierung und Optimierung des Umwelteinflusses für die Gebäudenutzung. In den letzten Jahren wurde Energieeffizienz um den Begriff der Ressourceneffizienz ergänzt. Im Gebäudekontext erweitert dieser die Betrachtung um den Aspekt der Substanz, also um die Umweltwirkung von Material und Konstruktion. Stand vorher die Betriebsphase im Vordergrund, rücken nun Herstellung und die Phase nach der Nutzung in den Fokus. Effizienzbetrachtungen erlauben Vergleiche mit Aufwand und Nutzenseite; Entweder der Aufwand wird geringer oder Nutzen höher. Im Bereich der Ressourceneffizienz bedeutet das auf der Aufwandsseite z.B. die Befürwortung von leichten Konstruktionen, den Einsatz von genutzter, sog. sekundären Rohstoffen oder Produkten mit erneuerbarem Anteil. Auf Nutzenseite erhalten bekannte Strategien neue Relevanz, wie z.B. Grundrissflexibilität und Nutzungsoffenheit, sowie Adaptabilität in verschiedenen Maßstäben.
Effizienzbetrachtungen sind begrenzt auf ein konkretes Projekt. Nicht selten wird damit eine Reduzierung argumentiert, die Widerstände von Planern und wirtschaftlichen Akteuren hervorruft. Zirkularität ist ein systemischer Ansatz, der neben der stofflichen Dimension über veränderte Nutzungsmodelle Banken und Produzierende als Akteure in den frühen Planungsprozess einschließt und bei dem Qualität einen wichtigen Fokus darstellt. Es werden z.B. zur Nutzungsdauer passende Produkte entwickelt (als Gegenmodell zur geplanten Obsoleszenz). Für Planer ergeben sich daraus neue Impulse für ihr Aufgabenfeld, sowie deren Einflussmöglichkeiten. Für die Erreichung der Klimaziele ist die Zusammenarbeit verschiedener Akteure in frühen Planungsphasen wichtig, ebenso wie die Bereitschaft das Ende eines Gebäudes mitzudenken und strategisch zu integrieren, sodass möglichst viele Nutzungen möglich bleiben.
Prof. Sigrid Brell-Cokcan, RWTH Aachen
Internet of Construction - Informationsnetzwerke zur unternehmensübergreifenden Kollaboration in den Fertigungsketten des Bauwesens
"Wir brauchen eine neue Arbeitskultur entlang der gesamten Wertschöpfungskette des Bauwesens, die die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine fördert."
Prof. Thomas Auer, TU München
User Centered Design - der Mensch als Maßstab
"Eine nachhaltige Transformation der gebauten Umwelt - vor allem in unseren urbanen Zentren – muss sich stärker am Menschen orientieren und der Natur wieder mehr Raum geben."
Menschen verbringen im Durchschnitt 80 bis 90 % ihrer Zeit in Gebäuden. Es ist die Grundaufgabe von Architektur Innenräume zu gestalten, die eine hohe Aufenthaltsqualität aufweisen. Gleichzeitig fordert die Carbon Roadmap der Europäischen Union, dass der Gebäudesektor – im Vergleich zu 1990 – die CO2 Emissionen für den Gebäudebetrieb bis zum Jahr 2050 um 90 % reduziert.
Bisherige Anstrengungen fokussieren vor allem auf den Einsatz von Technologie. Zahlreiche wissenschaftliche Studien zeigen allerdings, dass die gemessenen Energieverbräuche teilweise um das 3-fache größer sind als die in der Planung prognostizierten Verbräuche. Diese Differenz wird als Performance Gap bezeichnet. Der Unterschied resultiert aus der Differenz zwischen Planung und Realität. Gleichzeitig nimmt die Komplexität im Bauwesen ständig zu.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Ziel – mittels Technologie den Energiebedarf des Gebäudesektors zu minimieren und die Aufenthaltsqualität gleichzeitig zu optimieren – nicht den gewünschten Erfolg bringt. Viel zu häufig funktionieren Systeme nicht wie geplant; und selbst wenn sie das tun, was sie sollten, führt dies häufig nicht zu einer Zufriedenheit der Nutzer. Passive nutzergeregelte Systeme führen hingegen potenziell nicht nur zu einem reduzierten Energiebedarf und geringeren Installationskosten, sie erhöhen gleichzeitig die Robustheit von Gebäuden. Damit steigern sie die Nutzerzufriedenheit und reduzieren den Performance Gap.
Zahlreiche Forschungsergebnisse zeigen, dass der Mensch in natürlich gelüfteten Gebäuden eine größere Temperaturspreizung akzeptiert. Nachgewiesen ist auch, dass der Blick in die Natur beruhigend wirkt. Zusätzlich gibt es aufgrund der Klimaveränderung eine gewisse Häufigkeit von Extremwetterevents, die vor allem unsere Städte belasten. Der Glaube an Technologie und Ingenieurskunst lässt uns stets spektakulärere Gebäude und Städte bauen, mit wachsender Komplexität. Die Frage ist aber vielmehr, ob nicht eine nachhaltige Transformation der gebauten Umwelt - vor allem unserer Städte - der Natur wieder mehr Raum geben muss.
Luisa Ropelato, Architects for Future
Architects for Future – wie wir die Baubranche von Innen heraus verändern wollen
"Gemeinsam stehen wir für einen wirklich nachhaltigen Wandel in der Baubranche."
Die Baubranche ist der Hauptverursacher für den enormen Ressourcen- und Energieverbrauch in Deutschland. Wir fordern daher alle Aktiven der Baubranche auf:
1. Hinterfragt Abriss kritisch
2. Wählt gesunde und klimapositve Materialien
3. Entwerft für eine offene Gesellschaft
4. Konstruiert kreislaufgerecht
5. Vermeidet Downcycling
6. Nutzt urbane Mienen
7. Erhaltet und schafft biodiversen Lebensraum
Damit diese Forderungen ihren Weg in die Umsetzung finden, sehen wir eine große Wichtigkeit in der Vernetzung. Wir erleben in den letzten Monaten wie viele Menschen schon jetzt für einen Wandel in der Baubranche einstehen oder auch einstehen wollen. Hier sehen wir uns als Vernetzungsplattform, damit gemeinsam weitere Interessierte begeistert werden können.
Des Weiteren mussten wir feststellen, dass die Vielzahl der schon erforschten Lösungen für das klimapositive Bauen noch nicht im Alltag der Baubranche angekommen sind. Um dem entgegenzuwirken, wollen wir das Wissen teilen und so in die breite Masse bringen.
Und zu guter Letzt müssen wir natürlich laut sein, denn es geht schließlich um unsere Zukunft!
Torben Østergaard, 3XN/GXN
The search for new arguments; ARCHITECTURE SHAPES BEHAVIOUR SHAPES ARCHITECTURE
Since the outset in 1986 it been always a part of 3XN’s practice to look for new paths in architecture and it has remained embedded in our DNA to look for curious people and research driven institutions in our search for new ideas and solutions. The establishment of our innovation unit GXN in 2007 as a daughter company to 3XN has become an increasingly important part of our approach on construction materials, design processes, digitalization of the design process and in construction, sustainability and within the field of behavioral research.
Today 3XN/GXN is a 100 staff practice with ongoing projects primarily in Europe, North America and Australia. I’ll be talking about three issues.
Materials
Even if the number of construction materials has exploded during the last 50 years or so, we have often experienced that available construction materials and methods were limiting to design ideas. The initial driver behind GXN is to explore new interesting relations between design ideas and possible construction possibilities. As the “G” in GXN also imply “Green” the search for new construction methodologies also embraces ideas on sustainable resource harvesting, handling and manufacturing and recently also on concepts for the re-use and upgrading of existing materials within the flow of things.
Design Process
Being able to incorporate as much information and as many ideas as possible during the design process; implies to embrace and balance all the relevant design parameters. A digital workflow enables a qualified and agile decision process where parameters can be tested, visualized and documented during the process. We are architects which means there’s no final call as to when things are absolutely right, that’s still up to the judgement of people, however the digital workflow allows us to overcome changes and adaptions also sometimes rather late in the process whilst staying on track. Scripted parametric digital design processes are key not only during the initial design process but also when providing design information for complex geometries where quality assurance and bridging to production information can be particularly challenging.
Behavior Driven Design
Our “Mind Your Behavior” exhibition from 2010, explored the relationship between the build environment and peoples’ behavior. The show not only inspired a growing interest in the impact space has on peoples’ behavior, but also made clear, that a better understanding in this field would be helpful to grow our practice. Today a phD Cluster at 3XN/GXN supported by external funds are doing research to grow our common understanding of peoples’ behavior in architecture and in fact also vice versa. The findings within the cluster are gradually gaining more impacting in the design work on actual designs while at the same time creating a growing body of work to be explored. The aim is of course to enable a deeper understanding of what architecture has to offer and create better value for end-users and co-creators of our designs.
Prof. Dirk E. Hebel, KIT Karlsruhe
Vom Zirkulieren, Säen und Ernten - Alternative Konzepte zur Ressourcenfrage in der Bauindustrie
"The future city makes no distinction between waste and supply (Mitchel Joachim, New York)"
Die Weltbevölkerung wächst seit Jahrzehnten stetig an. Gleichzeitig steigt der wirtschaftliche Wohlstand. Beide Entwicklungen führen zu einem zunehmenden Druck auf unsere natürliche Umwelt, unser Klima und unsere Ressourcen. Der weitaus größte Teil unserer zum Bau verwendeten Materialien wird zurzeit aus der Erdkruste entnommen, benutzt und dann entsorgt. Sie werden im wahrsten Sinne des Wortes konsumiert und nicht aus natürlichen oder technischen Kreisläufen ausgeliehen, um anschließend darin wieder aufzugehen. Dieser lineare Ansatz hat tief greifende Konsequenzen für unseren Planeten. Wir greifen tief in bestehende Ökosysteme ein, der Klimawandel zeugt davon. Natürliche Ressourcen wie Sand, Kupfer, Zink oder Helium werden bald nicht mehr technisch, ökologisch und ökonomisch sinnvoll vertretbar zur Verfügung stehen. Mit dem immer tiefer greifenden Abbau gefährden wir das Wohl künftiger Generationen.
Die gebaute Umwelt muss daher begriffen werden als temporäre Lagerstätte von Rohstoffen in einem endlosen Kreislaufsystem - ein radikaler Paradigmenwechsel wäre nötig. Wir brauchen dringend neue Prinzipien für den Bau, die Demontage und die ständige Umgestaltung unserer gebauten Umwelt. Gleichzeitig müssen wir die Frage beantworten, wie neue Materialien hergestellt werden können, die dem Anspruch einer Kreislaufwirtschaft entsprechen. Wir müssen vermehrt eine Verlagerung hin zum regenerativen Anbau, zur Zucht und Kultivierung von Ressourcen und Baumaterialien anstreben, anstatt uns weiterhin auf endliche Vorkommen zu verlassen.
Daniel Hoheneder, CEO flissade GmbH
JETZT! Raum im Wandel
"Adaption und Flexibilität können der Schlüssel zu nachhaltigem und zukunftssicheren Bauen sein - Transformation wird der maßgebende Treiber zukünftigen Bauschaffens sein."
Our world is changing... FAST! Globale Megatrends wie Urbanisierung und die Digitalisierung verändern die Gesellschaften weltweit in einer nie dagewesenen Geschwindigkeit, mit der die hieraus notwendige Transformation unserer gebauten Umwelt – als das in Architektur kondensierte Abbild unserer Gesellschaft – längst nicht mehr Schritt hält. Überschattet wird dieser Veränderungsdruck nur noch durch die übergeordnete Notwendigkeit die längst überfällige Reduktion der Emissionen im Gebäudesektor noch zu erreichen bevor Szenarien eintreten die unsere Transformationskräfte übersteigen. Die raschen Veränderungen unserer Lebens- und Arbeitsumstände lässt sich in den gebauten Realitäten längst nicht mehr vollumfänglich abbilden. Besonders das Thema des Wohnen - wie wir es aus der allzu kurzen Episode der Nachkriegsmoderne kennen - steht hierbei im Besonderen vor enormen Herausforderungen. Adaption und Flexibilität können vom Material selbst über die Prozesse bis zur Perspektive des Nutzers der Schlüssel zu nachhaltigem und zukunftssicheren Bauen sein - Transformation wird der maßgebende Treiber zukünftigen Bauschaffens sein. Die Fassade als Schnittstelle des Gebäudes zwischen dem Menschen zu seiner Umgebung ist für die zukünftige Entwicklung der Stadtlandschaft, mit ihren räumlichen und sozialen Veränderungen essenziell. Gerade hier greifen flexible Konzepte, die in ihrer Funktion als energieeffiziente Gebäudehülle – mit Bedacht auf schützenswerten Bestand und zeitgemäßer Weiterentwicklung – neue Nutzungsqualitäten bieten. Als Start-up entwickelt flissade ein revolutionäres, wandelbares Raumkonzept für flächeneffizientes Wohnen in den Städten von morgen und gibt Antworten auf die Herausforderungen von knapper werdendem Wohnraum, sich verändernden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und den Anforderungen an eine höhere Effizienz. Doch neue Ideen in einem derart konservativen Marktumfeld zu positionieren ist eine Herausforderung – gerade wenn man Start-up und nicht die Industrie ist.
Prof. Philipp Bouteiller, Tegel Projekt GmbH
Vom Flughafen Tegel zum größten Smart City Projekt Europas: Berlin TXL – The Urban Tech Republic und Schumacher Quartier
„Wenn wir die Welt retten wollen, müssen wir in den Städten beginnen, und wenn wir das Neue Bauen voranbringen wollen, dann nicht gegen, sondern mit der Natur. Wenn wir aber als Staat bauen, haben wir eine besondere Verantwortung: Da wir kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem haben, müssen wir mit Pilotprojekten auf Experimentierfeldern beweisen, dass es geht.“
Reiner Nagel, Vorstandsvorsitzender Bundesstiftung Baukultur
Innovation mit Baukultur
"Innovation ist kein Selbstzweck, sondern verfolgt das Ziel einer Verbesserung unserer gebauten Umwelt."
Die Bundesstiftung Baukultur tritt für hochwertiges Planen und Bauen ein. Dabei spielen Innovationen eine entscheidende Rolle. Dringende gesellschaftliche Fragen, wie der Klimawandel oder endliche Ressourcen, lassen sich nicht ohne Neuerungen im Bauprozess beantworten.
Um auf gesellschaftliche Akzeptanz zu treffen, darf aber nicht allein die technische Lösung im Vordergrund stehen, sondern innovative Ansätze sollten immer auch auf ihre gestaltgebende Funktion überprüft werden. Zu lange wurden beispielsweise beim Thema der energetischen Sanierung nur die Einsparungen von Betriebsenergie betrachtet und Aspekte wie Gestaltqualität oder der Einsatz grauer Energie vernachlässigt. Dabei können notwendige Umbauten oder energetische Sanierungen eine Verbesserung nicht nur für das einzelne Gebäude, sondern auch für dessen Umfeld und den öffentlichen Raum bewirken. Gestaltung darf kein zufälliges Nebenprodukt sein. Eher umgekehrt sind häufig Innovationen das Ergebnis einer herausragenden Gestaltungslösung.
Durch den Blick auf den Bestand, dessen Erhalt und Weiterentwicklung die größte zukünftige Aufgabe für alle Bauschaffenden darstellt, wird manches deutlich: Wenn heute eine alte Torfremise in Kolbermoor rückgebaut und an anderer Stelle wiedererrichtet wird, so muss man feststellen, dass bei dem historischen Holzbau das momentan aktuelle Thema der Recyclebarkeit von Gebäuden bereits angelegt war. Innovation wird also auch aus der Tradition inspiriert.
Neben den baulichen Maßnahmen trägt die Prozesskultur und Interdisziplinarität maßgeblich zur Baukultur bei. Digitale Prozesse können hier unterstützen, aber nicht den fachübergreifenden Austausch und Kopf und Hand ersetzen.
Ausgehend vom Bestand und im Sinne einer ganzheitlich gedachten Baukultur, gilt es also Innovationen den Weg zu bereiten, die nicht nur ökologische und soziale Standards berücksichtigen und wirtschaftlich machbar sind, sondern die darüber hinaus räumlich und gestalterisch für sich und ihre Nachbarschaften angemessen sind. Und das bestenfalls als Ergebnis einer ergebnisorientierten Planungs- und Baukultur.
Mehr zur Bundesstiftung Baukultur, ihren Publikationen, Handreichungen und Veranstaltungen finden Sie unter: www.bundesstiftung-baukultur.de
Dr. Hanno Rauterberg, DIE ZEIT
Ankommen! Architektur als sozialwissenschaftlicher Forschungsbereich
"Bauen heißt Verbindlichkeit wagen!"
Wenn Architekten von Innovation sprechen, meinen sie in der Regel technischen Fortschritt und avancierte Formensprache. Die Zukunft aber entscheidet sich im Sozialen und also muss sich architektonische Forschung vor allem Innovationen im gesellschaftlichen Sinne widmen. In der Digitalmoderne ist nicht mehr der klassische Aufbruch der klassischen Avantgarden gefragt, der noch immer den Diskurs bestimmt. Viel wichtiger wird das Ankommen und Einbinden. Denn je entgrenzter sich die Wirklichkeit darstellt, desto mehr kommt es darauf an, mit baulichen Mitteln jene Rückbindung zu ermöglichen, die viele Menschen suchen - leider nicht selten in den einfachen Wahrheiten der Populisten oder in privatistischem Rückzug. Um der gesellschaftlichen Spaltung etwas entgegensetzen zu können, muss die Architektur den Eigensinn der Ästhetik neu entdecken, die Kraft des Regionalen stärken und die Kunst der Ambiguitätstoleranz zur obersten Maxime machen, in der Praxis wie in der Theorie. Bauen heißt Verbindlichkeit wagen!
Prof. Achim Menges, Universität Stuttgart
Teil 1: Integratives computerbasiertes Planen und Bauen für die Architektur
Digitale Technologien bieten neue Lösungsansätze für die vielfältigen ökologischen, ökonomischen und sozialen Herausforderungen des Bauschaffens. Zudem eröffnen sie Möglichkeiten für eine neuartige Architektur und eine digitale Baukultur. Aufgrund der Kleinteiligkeit der Bauindustrie und einer zergliederten Forschungslandschaft erfolgt die Digitalisierung der verschiedenen Teilbereiche des Bauens jedoch weitestgehend entkoppelt und sehr langsam. Zudem beschränkt sie sich zumeist auf die sprichwörtliche Digitalisierung bestehender Planungsmethoden und die Automatisierung bekannter Fertigungs- und Bauprozesse. Dies führt in den meisten Fällen lediglich zu inkrementellen Verbesserungen und isolierten Erkenntnissen. Das volle Potenzial digitaler Technologien bleibt dabei ungenutzt.
Ziel des Exzellenzclusters „Integratives Computerbasiertes Planen und Bauen für die Architektur (IntCDC)“ an der Universität Stuttgart ist es, das volle Potenzial digitaler Technologien zu nutzen, um das Planen und Bauen in einem integrativen und interdisziplinären Ansatz neu zu denken und damit wegweisende Innovationen für das Bauschaffen zu ermöglichen. Durch einen systematischen, ganzheitlichen und integrativen computerbasierten Ansatz sollen die methodischen Grundlagen für eine umfassende Modernisierung des Bauschaffens gelegt werden. Eine zentrale Zielsetzung ist die Entwicklung einer übergeordneten Methodologie des „Co-Design“ von Methoden, Prozessen und Systemen, basierend auf interdisziplinärer Forschung zwischen den Bereichen Architektur, Bauingenieurwesen, Ingenieurgeodäsie, Produktions- und Systemtechnik, Informatik und Robotik sowie Geistes- und Sozialwissenschaften. Es wird erwartet, dass die methodischen Erkenntnisse und Forschungsergebnisse umfassende Lösungswege für die durch inkrementelle Ansätze nicht zu meisternden ökologischen, ökonomischen und sozialen Herausforderungen aufzeigen und die einen Beitrag für eine qualitätsvolle, lebenswerte und nachhaltige gebaute Umwelt sowie für eine digitale Baukultur schaffen.
Der Vortrag stellt die übergeordnete Methodologie des „Co-Design“ von Planungsmethoden, Bauprozessen und Bausystemen vor und erläutert diese anhand von zwei realisierten Pilotprojekten.
Prof. Jan Knippers, Universität Stuttgart
Teil 2: Integratives computerbasiertes Planen und Bauen für die Architektur
"Ziel des Exzellenzclusters IntCDC an der Universität Stuttgart ist es, das volle Potential digitaler Technologien zu nutzen, um das Planen und Bauen in einem integrativen und interdisziplinären Ansatz neu zu denken und damit wegweisende Innovationen für das Bauschaffen zu ermöglichen."
Digitale Technologien bieten neue Lösungsansätze für die vielfältigen ökologischen, ökonomischen und sozialen Herausforderungen des Bauschaffens. Zudem eröffnen sie Möglichkeiten für eine neuartige Architektur und eine digitale Baukultur. Aufgrund der Kleinteiligkeit der Bauindustrie und einer zergliederten Forschungslandschaft erfolgt die Digitalisierung der verschiedenen Teilbereiche des Bauens jedoch weitestgehend entkoppelt und sehr langsam. Zudem beschränkt sie sich zumeist auf die sprichwörtliche Digitalisierung bestehender Planungsmethoden und die Automatisierung bekannter Fertigungs- und Bauprozesse. Dies führt in den meisten Fällen lediglich zu inkrementellen Verbesserungen und isolierten Erkenntnissen. Das volle Potential digitaler Technologien bleibt dabei ungenutzt. Ziel des Exzellenzclusters „Integratives Computerbasiertes Planen und Bauen für die Architektur (IntCDC)“ an der Universität Stuttgart ist es, das volle Potential digitaler Technologien zu nutzen, um das Planen und Bauen in einem integrativen und interdisziplinären Ansatz neu zu denken und damit wegweisende Innovationen für das Bauschaffen zu ermöglichen. Durch einen systematischen, ganzheitlichen und integrativen computerbasierten Ansatz sollen die methodischen Grundlagen für eine umfassende Modernisierung des Bauschaffens gelegt werden. Eine zentrale Zielsetzung ist die Entwicklung einer übergeordneten Methodologie des „Co-Design“ von Methoden, Prozessen und Systemen, basierend auf interdisziplinärer Forschung zwischen den Bereichen Architektur, Bauingenieurwesen, Ingenieurgeodäsie, Produktions- und Systemtechnik, Informatik und Robotik sowie Geistes- und Sozialwissenschaften. Es wird erwartet, dass die methodischen Erkenntnisse und Forschungsergebnisse umfassende Lösungswege für die durch inkrementelle Ansätze nicht zu meisternden ökologischen, ökonomischen und sozialen Herausforderungen aufzeigen und die einen Beitrag für eine qualitätsvolle, lebenswerte und nachhaltige gebaute Umwelt sowie für eine digitale Baukultur schaffen. Der Vortrag stellt die übergeordnete Methodologie des „Co-Design“ von Planungsmethoden, Bauprozessen und Bausystemen vor und erläutert diese anhand von zwei realisierten Pilotprojekten.
Prof. Thomas Stark, HTWG Konstanz
ReUse – Wiederverwendung von Baukomponenten im regionalen Kontext
"Die Sensibilisierung für die Wertschätzung von gestaltetem Material im Bauen ist eine wichtige Aufgabe und ein Gewinn für alle."
Die großen Herausforderungen des nachhaltigen Bauens im Bereich Ökologie liegen zukünftig in der Optimierung der Baumaterialien hinsichtlich des Ressourcenbedarfs bei der Herstellung und Verwendung. Das Ziel ist eine möglichst umfassende Kreislaufwirtschaft, für die neue Bewertungskriterien gelten (stofflicher, energetischer und logistischer Aufwand im Zyklus). Hier muss differenziert werden zwischen dem Umgang mit Bestandsgebäuden und Neubauvorhaben. Für den Bestand können folgende Prioritäten definiert werden:
1. möglichst umfassende Bestandserhaltung von Gebäuden
2. möglichst umfassende Wiederverwendung von Rückbaukomponenten in Gebäuden
3. möglichst umfassende Weiterverwendung von Rückbaukomponenten in anderen Nutzungen
4. möglichst umfassende Zuführung von Rückbaumaterial in den Herstellungsprozess
5. möglichst umfassende Weiternutzung von Rückbaumaterial in anderer Nutzung
Zur überragenden Bedeutung der Bestandserhaltung gibt es bereits ein hohes Bewusstsein in der Baubranche und zahlreiche Hilfestellungen. Der Umgang mit teilweisem oder vollständigem Rückbau von Gebäuden ist jedoch geprägt durch den Anfall als Bauschutt und der Entsorgung durch entsprechende Unternehmen. Hier konnten in den letzten Jahrzehnten zwar erhebliche Fortschritte im Sinne einer Kreislaufwirtschaft erzielt werden: Bauschutt wird inzwischen zu knapp 80 Prozent einem Recycling- bzw. Downcyclingprozess zugeführt. Der klassische Recyclingprozess erfordert jedoch erhebliche logistische, stoffliche und energetische Ressourcen, um in neue Bauprodukte münden zu können. Zudem ist der Anteil der zuführbaren Recyclingstoffe meist stark begrenzt. Im Sinne eines ökologisch optimierten Kreislaufansatzes bieten hier die Strategien Wiederverwendung und Weiterverwendung große Potenziale. Diese sind bislang nahezu ungenutzt, da die klassischen Organisations- und Logistikstrukturen der Bauindustrie nicht dazu geeignet sind, wirtschaftliche Lösungen zu realisieren. Die bisherigen Ansätze deuten darauf hin, dass hierzu der lokale bzw. regionale Maßstab einen entscheidenden Beitrag leisten kann und muss. Eine sinnhafte Wieder- und Weiterverwendung von Baukomponenten erfordert eine Koordination von regionalen Akteuren.
Prof. Annette Hillebrandt, Architektin BDA, Universität Wuppertal
Urban Mining Design: unabdingbar und lohnend
„Abgesehen davon, dass echte Circular Economy unabdingbar für unsere Zukunft ist, ist es auch lohnend – wenn man nur zu Ende denkt."
Die Lagerstätten von Rohstoffen weltweit haben sich verschoben: Viele unserer Rohstoffe sind längst nicht mehr am Ort ihrer natürlichen Entstehung vorhanden, sondern in unseren neuen, anthropogenen Lagerstätten gebunden. Das Gros der Menge steckt in unserem Gebäudebestand. Der Paradigmenwechsel für ein Bauen im Anthropozän baut auf die Wiedergewinnung von Baumaterial. Er ist angewiesen auf die Trennbarkeit von Konstruktionen und Baustoffen, um ein qualitätvolles Recycling umzusetzen. Er fußt auf zirkulärer Planung und zirkulärer Kostenbetrachtung über den gesamten Lebensweg der Immobilie, einschließlich ihrer Umweltwirkungen. „Urban-Mining-Design“ bedeutet einen Ausstieg aus der Linearwirtschaft mit ihrer Wachstums-Logik, dem einseitigen Blick auf die Investitionskosten und dem End-of-Life-Szenario „Deponie“. Es gilt, die Abfalleigenschaft abzuschaffen und die zukünftigen Gebäude als Rohstoffzwischenlager zu planen. Dies gelingt unter Ausschluss von bedenklichen Stoffen aus dem Bauwesen und einer konsequenten Produktverantwortung: Der Bauherr bürgt für seine Immobile, die Hersteller für darin gebundenen Baustoffe und Bauprodukte und die Planer und Konstrukteure für die Errichtung und den Rückbau. Es gilt ein großes Reformprogramm für Gesellschaft und Wirtschaft zu etablieren, ganz im Sinne der Sustainable Development Goals (SDG) der Vereinten Nationen und der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie. Die Kenntnisse dafür sind vom Konzept bis zu Materialwahl und Konstruktion längst vorhanden, wie der Atlas Recycling, Edition Detail anschaulich beweist (https://shop.detail.de/de/atlas-recycling.html).
Prof. Natalie Eßig, Hochschule München
Nachhaltiges Bauen / Bewertungsmaßstäbe
„Nachhaltigkeit und ökologische Themen sind im Bauwesen längst noch nicht angekommen. Wenige Großbauprojekte zeigen hier bereits erste Ansätze. Bei kommunalen Bauten oder im privaten Wohnungsbau liegt das Thema aber noch in weiter Ferne."
Zur Absicherung der Lebensqualität zukünftiger Generationen muss der nachhaltige Umgang mit unserer Umwelt gewährleistet werden. Dies gilt auch für den Gebäudesektor. Nachhaltiges Bauen wird bislang meist mit Begriffen wie „Ökologie“ und „Energieeffizienz“ in Verbindung gebracht. Diese stellen aber nur Teilbereiche einer nachhaltigen Entwicklung dar. Nachhaltigkeit im Bauwesen umfasst ein wesentlich komplexeres Themenfeld. Neben den genannten Themen, müssen soziokulturelle und funktionale und ökonomische Kriterien, ebenso wie technische und prozess- und standortspezifische Eigenschaften eines Gebäudes betrachtet werden. Hierbei spielt der gesamte Lebenszyklus eine wichtige Rolle - von der Planung über den Betrieb bis hin zum Rückbau Nachhaltiges Bauen kann daher nicht nach einem starren Prinzip erfolgen. Einzelne Bauvorhaben erfordern spezifische Konzepte mit unterschiedlichen Lösungsansätzen, Alternativen und Maßnahmen, die jeweils speziell auf das zu betrachtende Gebäude abgestimmt sind. Ein wichtiges Instrument zur Umsetzung und Bewertung der nachhaltigen Gebäudequalität stellen Nachhaltigkeitsgütesiegel dar, die diese Aspekte im Planungsprozess gleichberechtigt zur Seite stellen und den gesamten Lebenszyklus einer Immobilie abbilden. In den letzten Jahren wurden international zahlreiche solcher Werkzeuge entwickelt. Diese Gebäudelabel und –zertifikate erlauben eine umfassende Bewertung eines Gebäudes als Gesamtsystem. Sie bündeln bestehende Planungsinstrumente und Teilaspekte des nachhaltigen Bauens und bauen auf bereits bestehenden nationalen Standards und Gesetzgebungen auf. In frühen Leistungsphasen vermitteln sie Planenden und Auftraggebern eine Projektbewertung, woraus sich auch Hinweise zu nachhaltigen Planungszielen und zu einer planungsbegleitenden Verbesserung der Nachhaltigkeitseigenschaften ableiten lassen. Für fertig gestellte Projekte dienen Gebäudezertifikate dazu, Nutzern und Betreibern einen nachvollziehbaren Beleg bezüglich der nachhaltigen Qualität ihres Gebäudes zu liefern. Neben der reinen Bewertung der Gebäudequalität stellt die im Rahmen einer Zertifizierung geforderte Gebäudedokumentation eine zusätzliche Qualitätssicherung dar.
Claus Asam, Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR)
Zirkuläres Bauen aus Sicht des Bundes
"Eine der wichtigsten Zukunftsaufgaben im öffentlichen Bauen ist die Schaffung von Vertrauen und Akzeptanz in zirkuläres Bauen."
Der Bund trägt mit seiner Rolle als öffentlicher Bauherr eine besondere Verantwortung für ein gemeinwohlorientiertes, generationengerechtes – kurz um nachhaltiges Bauen und Wohnen. Dem zirkulären Bauen kommt dabei eine immer wichtigere Rolle zu. Zum einen gilt es aus Bundessicht die europäischen Vorgaben der Bauproduktenverordnung (BauPVO) national zu definieren. Zum anderen hat der Bund die Aufgabe zukünftige Bauqualitäten für seine Gebäude vorab anzuwenden und so als Vorbild aber auch als Träger von Pilotprojekten zu dienen. In Bezug auf die BauPVO sind die Grundanforderungen im Anhang I, Nr. 3 und 7 bzgl. des zirkulären Bauens umzusetzen. Wobei in Nr. 3 u.a. die Umweltauswirkungen und in Nr. 7 die Recyclingfähigkeit, Dauerhaftigkeit und die Kreislaufführung von Bauprodukten gefordert wird. Bisher hat keines der Mitgliedsländer die Grundanforderung 7 umgesetzt. Da mit der neuen finnischen Ratspräsidentschaft dieses Thema wieder auf die Tagesordnung gehoben wurde, wird zukünftig das Thema auch national an Bedeutung gewinnen. Bis zur rechtsverbindlichen Umsetzung sind selbst auferlegte Anforderungen, die der Bund z.B. über sein Bewertungssystem Nachhaltiges Bauen (BNB) für Bundesbaumaßnahmen im Bereich BMI/BMVg umsetzt nötig. Im BNB sind die definierten Grundanforderungen der BauPVO bereits angelegt. Grundanforderung 3 ist bereits qualitativ beschrieben. Grundanforderung 7 wird derzeit verortet und überarbeitet. Hier werden Erprobungen in den nächsten Jahren nötig sein, um die erwünschten Effekte auch erzielen zu können. Das erfordert aber auch weitere Maßnahmen für eine Umsetzung in der Praxis. Angefangen von der Verwertung von mineralischen Ersatzbaustoffen (Sorgen für rechtsverbindliche Gleichwertigkeit!) für Verfüllung und die Herstellung von Funktionsschichten (Diskriminierungsfreie Vergabe!) über den Einsatz von Recyclingbeton (Förderung in Regionen mit geringen Primärressourcen!) bis hin zur Wiederverwendung ganzer Bauteile (Produktkreisläufe stärken!) wurden bereits einige Projekte durchgeführt und in Bauvorhaben erprobt. Diese Wege sind systematisch fortzuführen.
Dr. Ilka May, LocLab Consulting GmbH
ZUKUNFTSFORUM 2: Kostengünstige Methoden der Bestandsmodellierung durch KI
"Semantik, Datenschlankheit und geringe Erstellungskosten sind die Stellschrauben, über die Digitale Zwillinge von der Rarität zum Massenprodukt mit vielfältigen Einsatzmöglichkeiten werden."
Der Wert von digitalen Zwillingen, also virtuellen Modellen real existierender oder geplanter Anlagen oder Räume, ist inzwischen in vielen Industriesektoren erkannt worden. Mittels künstlicher Intelligenz und Technologien aus der Computerspiele-Branche und anderen Industriesektoren können die erforderlichen Prozesse zur Erstellung digitaler Zwillinge weitgehend automatisiert und optimiert werden. So können digitale Zwillinge heute schon kostengünstig, schnell und datenschlank bereitgestellt werden. Sie bilden eine Quelle neuer Wertschöpfung und neuer Geschäftsmodelle und werden neben dem physischen Bauwerk selbst einen eigenen Wert besitzen. Neben der einfachen Visualisierung nehmen besonders die Anwendungsbereiche im Facilities Management und der Prozessoptimierung stetig zu. Vor und während der Planung und Errichtung oder des Umbaus eines Bauwerks kann an seinem digitalen Zwilling die optimale Ausstattung, Ausprägung geplant, getestet und optimiert werden. Kombiniert mit Daten aus Sensorik, Gebäudemanagement-Systemen und IoT ergeben sich faszinierende Möglichkeiten, smarte Lösungen zu implementieren. Ein grundlegendes Element für die zuvor genannten Innovationen am digitalen Zwilling ist Semantik. Eine hoch genaue Geometrie, wie sie beispielsweise aus Punktwolken generiert werden kann, ist für viele Anwendungsbereiche weder erforderlich noch hilfreich. Gleichzeitig stellen Punktwolken häufig eine Datenlast dar, die im Giga- und Terrabyte-Bereich liegt und mit der vorliegenden Standard-Hardware nicht bewältigt werden kann. Die im Vortrag vorgestellte Methode hat daher ihren Schwerpunkt auf der automatisierten Objekt- und Materialerkennung und der Semantisierung von Bestandsmodellen bei gleichzeitiger Reduzierung des Datenvolumens.
Prof. Achim Menges, Universität Stuttgart
Computation statt Computerisierung – Auf dem Weg zu originär digitalem Bauschaffen
"Die Logik und spezifische Eigenheit eines originär digitalen Bauschaffens lässt sich nicht linear aus prä-digitalen Konzepten ableiten."
Digitale Technologien durchdringen immer weitere Teile des Entwerfens, Planens und Bauens in der Architektur. Problematisch ist dabei bereits das Schlagwort der Stunde selbst: Digitalisierung. Diese Begrifflichkeit suggeriert, dass der Einsatz digitaler Technologien im Wesentlichen darauf abzielt, vormals analoge Methoden, Prozesse und Systeme zu digitalisieren. So wird die „Digitalisierung“ als eine rein technische Entwicklung mit dem Ziel der Effizienzsteigerung und Automatisierung aufgefasst. Stattdessen sollten gerade Architekten/innen sie als ein soziokulturelles Phänomen verstehen, als tief greifende Veränderung annehmen, als Chance aufgreifen und aktiv gestalten. Einen Hinweis, welche Ansatzpunkte es hierfür gibt, kann die in diesem Falle ausdifferenziertere Terminologie des Englischen geben. Hier wird zwischen den Begriffen Computerisation und Computation unterschieden, für die es im Deutschen keine Äquivalente mit entsprechendem Bedeutungshintergrund gibt. Computerisation, also Computerisierung im vorgenannten Sinne, bezeichnet im Wesentlichen die Automatisierung, Mechanisierung und Konvertierung von Entitäten oder Prozessen, die in nicht-digitaler Form bereits gegeben und genau definiert sind. Und genau so verhält es sich ja auch mit den derzeit vorherrschenden Ansätzen digitaler Planung in der Architektur. Zunächst erfolgte mit der Einführung konventioneller CAD-Applikationen die Digitalisierung des Zeichenstifts und Zeichenbretts durch Maus und Bildschirm. Nun wird mit BIM die Planung unter Verwendung bautechnischer Standardelemente, -produkte und –details, die es selbstverständlich vorher auch schon gab, computerisiert und in eine Datenbank-basierte Modellierung überführt. Dabei werden bautechnische Konventionen und etablierte Konstruktionsansätze verfestigt, die durch digitale Technologien gerade selbst infrage gestellt werden könnte. Es sind digitale Planungs-Technologien für ein Prä-digitales Bauen. Ganz ähnlich verhält es sich mit dem Einsatz digitale Technologien im Fertigungs- und Bauprozess selbst. Hierbei wird die „Computerisierung“ bestehender Prozesse und Abläufe vorangetrieben, um so einen höheren Automatisierungsgrad des Vorfertigens und ortsgebundenen Bauens zu erreichen. Auch dies wird lediglich ein Übergangsschritt sein. Denn so entstehen lediglich automatisierte Bauprozesse für Prä-digitale Bauweisen und Bausysteme. Das tatsächliche Potenzial digitaler Technologien für die Architektur wird so nicht erschlossen, denn neue Technologien werden maßgeblich für ein „altes“ Bauen eingesetzt, sowohl auf Planungs- als auch perspektivisch auf Ausführungsseite. Im Gegensatz zu reinen Computerisierung steht bei Computation die Erschließung noch unbestimmter, vager oder nicht ausreichend definierter Möglichkeits- und Lösungsräume im Vordergrund. Der Computer kann hierbei anhand algorithmischer und logischer Methoden generativ und explorativ eingesetzt werden. Mit Hinblick auf die Architektur stellt Computation, also Computational Design und Computational Construction[i], eine Vielzahl tradierter Ansätze, etablierter Abläufe, Konventionen und Standards infrage. Denn die Logik und spezifische Eigenheit eines originär digitalen Bauschaffens wird sich nicht linear aus Prä-digitalen Konzepten ableiten lassen.
Prof. Ulrich Knaack, TU Darmstadt/TU Delft
Additive Herstellung im Bauwesen
"Additive Herstellung im Bauwesen: große Potentiale für eine kleinteilige Industrie - aber auch nur eine Technologie."
Additive Herstellung - oder umgangssprachlich 3D Drucken - ist derzeit eines der spannendsten Forschungsfelder im Baubereich. Regelmäßig übertreffen sich die Meldungen zu mittel additiver Herstellung gefertigter Experimental-Gebäude, die ganz oder zu großen Teilen gedruckt sind. Ein Trend kann eindeutig identifiziert werden: ca. 80 % der Forschung im Bauwesen zum Thema additive Herstellung findet zum Material Beton statt (siehe auch AM4AE.com, ein Blog welcher die Aktivitäten in diesem Bereich dokumentiert). Vor dem Hintergrund der Dimensionen und den Konstruktionsprinzipien im Bauwesen ist dieser Schwerpunkt nachvollziehbar - allerdings können auch andere Materialien spannend sein, bieten Potenzials und erlauben – insbesondere in Kombinationen mit herkömmlichen Technologen, einer Erweiterung der technischen und damit auch gestalterischen Möglichkeiten des Baues.
Dr. Arnd Rose, Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR)
ZUKUNFTSFORUM 2: Daten, Prozesse, Gebäude
"Die großen Potenziale der Digitalisierung im Bauwesen lassen sich nur mit durchgängigen Datenstrukturen wirklich heben."
Stephan Petermann, OMA/AMO
BAUEN UND DENKEN
"Why do we lack progress in cultural research in architecture? We currently lack the space to honestly debate this, even in the most public country I know, Germany. This makes me nervous."
Why do we lack progress in cultural research in architecture?
If you would have asked me 20 years ago what a debate on this topic would yield, I would have wondered why there would have been a debate in the first place. In the early 2000s the Dutch government launched the model of the Knowledge Worker to prepare society for a new economic reality on the horizon. Automation and declining profit margins informed this model- while suggesting a smooth transition from manual to increased brain work. It was followed by the idea that information would be the new gold – and that interdisciplinarity would realize the rest of our ambitions. That culture / creativity/ and experiments would be able to be paid for by private means, was in the advent of new right-wing oriented politics also a given. You would imagine that be 2020 this would have created a solid outlook and base for the future.
We can conclude that the dreams of 20 years ago were probably poorly informed. Yes we are clearly in a transition period. More jobs will clearly be disappearing. But the relationship between manual work and intellectual work probably was misunderstood. Somethings might have realized, others clearly not. Building technology advanced a bit most definitely, with new materials and construction methods tested. Aesthetics has maybe also improved, not by research, but by the availability of references on pinterest and other platforms. But otherwise the relationship between research and architecture is still stuck somewhere in between. Research in architecture is still on a primitive level. It is still largely fueled by public investment, with a complex relationship between private and public interests. In a battle between lawyers and creatives, the later lost ground, where lawyers won ground. When you ask companies for cultural collaborations they mostly connect you to the Public Relations development. For creatives it remains difficult to infiltrate into corporate structures; probably largely the creatives themselves are to blame for this.
We currently lack the space to honestly debate this, even in the most public country I know, Germany. This makes me nervous.
Prof. Jan Knippers, Universität Stuttgart
ZUKUNFTSFORUM 3: Zukunftsfähige Architekturkonzepte aus Sicht eines Ingenieurs
Die paradoxe Herausforderung besteht darin, deutlich mehr zu bauen, gleichzeitig aber viel weniger an Ressourcen zu verbrauchen. Dies wird nur möglich sein, wenn wir das Potential der Digitalisierung voll ausschöpfen.
Der Bau und Betrieb von Gebäuden ist einer der zentralen Ursachen für die menschgemachten Emissionen von CO2. Wir müssen den Verbrauch endlicher, vor allem fossiler, Ressourcen für Gebäude deutlich reduzieren, wenn wir die Ziele der Klimakonvention der Vereinten Nationen erreichen wollen. Gleichzeitig erfordert die wachsende Weltbevölkerung, dass wir die Produktivität unserer Bauprozesse drastisch erhöhen. Die paradoxe Herausforderung besteht also darin, deutlich mehr zu bauen, gleichzeitig aber viel weniger an Ressourcen zu verbrauchen. Hierfür müssen wir die Produktivität der Bauabläufe und die ökologische Effizienz der Bausysteme in einem parallelen und sich gegenseitig beeinflussenden Prozess optimieren. Wenn wir dabei nicht in die repetitive Ästhetik der Plattenbauten des letzten Jahrhunderts zurückfallen wollen, brauchen wir hierfür Bausysteme, die architektonische Vielfalt und Qualität mit einer automatisierten Bauproduktion und dem Einsatz nachwachsender Ressourcen, insbesondere dem Baustoff Holz, in Einklang bringen. Im Gegensatz hierzu zeichnen sich derzeitige Geschoßbauten aus Holz aber durch regelmäßige Raster und geringe Spannweiten aus. Um diese Einschränkungen zu überwinden und dem Holzbau breitere Anwendungsfelder zu ermöglichen brauchen wir neue Konstruktions- und Bausysteme, die das Potential der Digitalisierung voll ausschöpfen.
Prof. Thomas Auer, TU München
ZUKUNFTSFORUM 3: Was benötigen zukunftsfähige Architekturkonzepte aus Sicht der Bautechnik?
Robustheit muss zum zentralen Planungsparameter werden; die Methodik muss von der Forschung entwickelt werden.
Um zu einem klimaneutralen Gebäudebestand zu gelangen müssen unsere Bemühungen intelligent und ganzheitlich auf allen Skalierungsebenen sein. Bisherige Anstrengungen fokussieren vor allem auf den Einsatz von Technologie. Zahlreiche wissenschaftliche Studien zeigen allerdings, dass die gemessenen Energieverbräuche teilweise um das 3-fache größer sind als die in der Planung prognostizierten Verbräuche. Diesem Performance Gap kann mit einer robusten Optimierung begegnet werden, mit dem Ziel gleichzeitig die Komplexität im Bauwesen zu reduziert. In den letzten Jahrzehnten war das Ziel möglichst homogene Bedingungen (Temperatur, Licht, etc.) zu schaffen und hochverglaste Gebäude wurden zum internationalen Standard. Um den Problemen der hochverglasten Gebäude gerecht zu werden, wurden Fassadenlösungen und technische Systeme entwickelt, die sich an die sich ständig verändernde Außenumgebung anpassen. Gebäudeleittechnik, Sensorik und Aktorik sind entscheidend für einen komfortablen und möglichst energieeffizienten Betrieb. Die Komplexität führt zu einem Betrieb, der extrem empfindlich auf sogenannte unsichere Randbedingungen und Imperfektion in Bau und Betrieb reagiert. Als Folge davon sind erhebliche Performanceunterschiede zwischen Planung und realem Betrieb zu erkennen. Um unsere Gebäude zu dekarbonisieren ist es daher unerlässlich, Gebäude hinsichtlich Robustheit und Langlebigkeit zu optimieren. Die robuste Optimierung ist eine bewährte Methodik - die in zahlreichen Branchen eingesetzt wird - und die an die Bedürfnisse der Bauindustrie angepasst werden muss. Eine Definition von unsicheren Randbedingungen ermöglicht es, ein robustes Optimum zu finden. Dies führt zu Gebäuden, die weniger abhängig von Systemen sind, die über eine bestimmte Lebensdauer häufig ausfallen. Daher zielen robust optimierte Gebäude darauf ab, die Komplexität in der Fassaden- und technischen Systemgestaltung zu reduzieren, was letztlich auch den Verglasungsanteil von Gebäuden in Frage stellt.
Helga Kühnhenrich, Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR)
Zukunft Bau: Bauforschung und Praxis
"Die Herstellung von Architektur ist nicht nur ein technischer, sondern auch ein „sozialer“ Prozess, an dem viele beteiligt sind. Wir brauchen gute Beispiele in der Praxis - Modellprojekte, Experimente und das integrative Bauen und Forschen an Versuchsbauten, um neue Ansätze in die kulturelle Praxis des Bauens zu etablieren."
Martin Pauli, Arup Deutschland GmbH
Das Bauen von morgen
Das Bauen von morgen wird entscheidend durch die rasante Digitalisierung und wachsenden Anforderungen aus dem Klimawandel geprägt.
Arup, ein weltweit tätiges Planungs- und Beratungsbüro entwickelt gemeinsam mit Z_punkt, einem international führenden Beratungsunternehmen für strategische Zukunftsfragen, Szenarien für das Bauen von morgen. Auftraggeber ist das Innovationsprogramm Zukunft Bau des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR). Die Folgen des Wandels, welcher insbesondere aus der Digitalisierung sowie aus dem Klimawandel resultiert, sind in allen Bereichen der Bauindustrie spürbar. Sie umfassen Chancen im Hinblick auf Produktivitätssteigerungen, verbesserte Planungsabläufe und die Verringerung des ökologischen Fußabdruckes sowie Risiken in Bezug auf sich verändernde Berufsbilder, neue Akteure und disruptive Wertschöpfungsmodelle. Politische Akteure, die Industrie sowie die Zivilgesellschaft stehen nun vor der Herausforderung, die mittel- und langfristigen Auswirkungen der gegenwärtigen Transformation besser zu verstehen, die wichtigsten Handlungsfelder zu priorisieren und die entsprechenden politischen Leitplanken zu definieren, um den Wandel positiv zu gestalten. Für ein ganzheitliches, systemisches Verständnis der Zukunft des Bauens fokussiert sich das Team auf eine 360-Grad-Analyse, in welcher der Blick auf mögliche Veränderungen aus den Bereichen Gesellschaft, Technologie, Ökonomie, Umwelt und Politik geweitet wird. Zudem erfolgt ein fokussiertes Trendscanning der zukünftigen Bauwelt. Basierend auf einer systematischen Analyse von Einfluss- und Schlüsselfaktoren entwickelt das Expertenteam plausible Kontext- und Anwendungsszenarien, um strategische Handlungsempfehlungen abzuleiten. Zum gegenwärtigen Projektzeitpunkt stehen acht zentrale Zukunftsthemen im Fokus. Diese bündeln zentrale Stoßrichtungen, welche das Bauen von Morgen entscheidend prägen werden:
1. Baukultur – gebaute Umwelt als kollektiver Lebensraum
2. Inklusion – partizipative und offene Prozesse
3. Resilienz – adaptive und widerstandsfähige Systeme
4. Klimaneutralität – emissionsarmes Bauen und Betreiben
5. Zirkularität – neue Wertschöpfungsmodelle
6. Konnektivität – vernetzte Gebäude, Quartiere, Städte und Regionen
7. Automatisierung – höhere Arbeits- und Materialproduktivität
8. Profession – neue Ausbildungs- und Berufsbilder
Freo Majer, Forecast
WEGE IN DIE ZUKUNFT: Housing the Human – Mock ups und Performances als Blaupausen für das Gelingen oder Scheitern in Fragen sozialer Koexistenz
Anstelle eines Denken in hergebrachten Zuständigkeiten und Kompetenzen werden nur umfassend vernetzende, transdisziplinäre und risikobereite Ansätze experimenteller Forschung dem Tempo und der Gewaltsamkeit der bereits heute wahrzunehmenden Veränderungen und Umwälzungen relevante Neuerungen entgegensetzen können, nämlich im Sinne auch sozialer und nicht rein technologischer Innovation.
Housing the Human hat Entwürfe für ein nachhaltig funktionierendes Zusammenleben von Menschen, aber auch die Koexistenz von Mensch und Technologie räumlich ausgeformt und überprüfbar gemacht. Mit einer gehörigen Portion Kühnheit haben die beteiligten europäischen Festivals und Biennalen junge Kreative aufgefordert, sich Gedanken zu machen über eine zukünftige Beziehung vom Menschen zum gebauten Raum und ihnen darüber hinaus keinerlei Vorgaben gemacht. Der paradoxe Anspruch einer praktischen Zukunftsforschung wurde anhand konkret fasslicher und jeweils räumlich erlebbarer Prototypen aufgelöst. Die fünf Designerinnen und Architekten weisen in ihren Mock-ups, Installationen und Performances einen bemerkenswerten Blick in die Zukunft auf: frei von Ideologie, Ängsten oder utopistischer Wellness. Sie betrachten zunächst die Gegenwart – scharf und präzise – und entwickeln daraus eigenständige wie höchst diskutable Perspektiven und Vorschläge. Die Teilnehmer von Housing the Human wollen eingreifen, formen und verändern. Aber nicht gleich die ganze Welt, sondern sehr genau bezeichnete drängende Handlungsfelder. Unsere Konsequenz aus der über einjährigen Begleitung der fünf Ansätze ist eindeutig: Die anstehenden und längst einsetzenden massiven Veränderungen und Umwälzungen wie technologiegetriebenen Innovationen und Disruptionen erfordern beherzte und über ihren methodischen Tellerrand schauende kreative Köpfe – und zwar nicht nur aus Architektur, Städtebau und Design, sondern auch aus den anderen Künsten, mit all deren vielleicht mitunter erratisch wirkenden, immer aber freiheitlichen, unberechenbaren und eben nicht auf Verwertbarkeit gerichteten Arten zu produzieren. Die Methoden und das Vokabular von Wissenschaft, Technologie und Wirtschaft mögen auf den ersten Blick nicht leicht zusammengehen mit dem freizügigen Experiment, das jede künstlerische Praxis auszeichnet. Aber das In-Angriff-Nehmen und Überwinden disziplinärer und methodischer Begrenzungen gehört zu den vielversprechendsten und schließlich auch notwendigen Fähigkeiten einer neuen Generation von kreativen Köpfen. Es ist allerhöchste Zeit.
Jana Reichenbach-Behnisch, LEIIK gGmbH
BEST PRACTICE. Niedrigschwellige Leerstandaktivierung - Von der Industriebrache zur Kreativen Produktionsstätte
Kurzstatement: Kreativ und niedrigschwellig aktivierter Baubestand kann problematische Quartiere stärken, Gentrifizierungsbewegungen abfedern, die Ökobilanz verbessern und die Mietpreisdebatte abkürzen.
Auf dem Höhepunkt der urbanistischen Debatten zu den Schrumpfenden Städten, die auch in unserem Arbeitsort Leipzig zu radikalem Abriss führten, haben wir 2007 eine alte Fabrikanlage übernommen, um großflächigen Leerstand selbst zu aktivieren: Mit dem Tapetenwerk, das als kostenintensiv und schwer vermittelbar galt, wollten wir preiswerten Arbeitsraum für Kreativwirtschaftler parken, die solche Arbeitsorte dringend suchten - und es funktioniert bis heute: Niedriginvestiv Sanieren, preiswerte Mieten generieren, Stadtquartier beleben.
Wie saniert man aber eine Industriebrache für unter 400 Euro pro Quadratmeter? Gibt es ein großes Nutzerklientel für solche Räume? Und sind einfache (Bau)Detaillösungen heute noch regelkonform umzusetzen? Vor dem Hintergrund der derzeitigen Mietpreisdebatte in deutschen Metropolen wird die Aktualität dieser einfachen Fragen deutlich, welche die Grundlagen für unsere fachübergreifenden Bauforschungsprojekte bilden: Waren es in den vergangenen Jahren noch preiswerte Arbeitsräume, die in den Großstädten zunehmend fehlten, betrifft es jetzt auch den Wohnraum.
In unserem Focus stehen Best-Practice-Beispiele der kreativwirtschaftlichen Brachenaktivierung und die fachliche Begleitung solcher Projekte „auf dem Weg“. Nach der Auswertung bereits umgesetzter Konzepte und dem fachlichen Nachweis, das gründerzeitliche Fabriken eine wertvolle Bausubstanz sind, entstanden ein Bauteilkatalog für die Niedrigschwellige Instandsetzung und auf der projektbegleitenden Website eine Kommunikationsplattform mit bundesweiten Steckbriefen Kreativer Produktionsstätten.
Im Ergebnis der anschliessenden Begleitforschung für 11 ausgewählte Aktivierungsprojekte in 6 Bundesländern wurde ein umfangreicher Wissens- und Beispielkatalog vorgelegt – grundsätzlich unter der Überschrift „Neue Arbeitswelten“.
Je weiter man sich allerdings von den Metropolen entfernt, desto existenzieller wird die Verbindung von Arbeits- mit Wohnraum – was nicht nur bauliche und mietrechtliche Probleme mit sich bringt. Deshalb sind wir im September 2019 in und mit Sachsen gestartet, um ausgewählte Akteure bei der Aufstellung beispielhafter Praxiskonzepte für ihre Brachen zum „Wohnen und Arbeiten auf dem Land“ zu begleiten. Natürlich niedrigschwellig.
Prof. Dr.-Ing. Frank Roost, Universität Kassel
FORSCHUNGSIMPULSE: Vom Gewerbegebiet zum produktiven Stadtquartier: Dienstleistungs- und Industriestandorte als Labore und Impulsgeber für nachhaltige Stadtentwicklung
Kurzstatement: Bisher monofunktionale und baukulturell banale Gewerbegebiete müssen nachverdichtet und zu nutzungsgemischten Quartieren mit hoher Gestalt- und Aufenthaltsqualität weiterentwickelt werden.
Der Trend zur Reurbanisierung der Bevölkerung, die wirtschaftliche Konzentration in den Metropolregionen und die Erkenntnis, dass eine ressourcenschonende Siedlungsflächenentwicklung unumgänglich ist, machen eine nachhaltige und effiziente Nutzung der zur Verfügung stehenden Flächen notwendiger denn je. Eine Chance zu einer Restrukturierung von Gewebegebieten bietet der einsetzende Umbruch der Produktionsweisen, Konsummuster und Warenströme im Kontext der Digitalisierung, der auch zu neuen Ansprüchen an Lage, Erschließung, Umfeld, Gestaltung, energetische Anforderungen etc. für Gewerbebauten führt. Während bisher betrieblich optimierte Erschließungen, auf Expansionsoptionen ausgerichtete Grundstückszuschnitte und geringe Nutzungskonflikte durch ein homogenes Umfeld zu den Prioritäten gehörten, werden in der Wissensökonomie zunehmend ein urbanes Umfeld und eine größere Bandbreite an Funktionen gefragt (z.B. Campus-Konzepte von Technologieunternehmen). Hierfür gilt es, neue Formen der Produktion und Logistik in die Städte zu integrieren, die bestehenden Gewerbegebiete nachzuverdichten und ihre Nutzungsbandbreite anzureichern.
Im Projekt „GeProQuartier - Vom Gewerbegebiet zum produktiven Stadtquartier: Dienstleistungs- und Industriestandorte als Labore und Impulsgeber für nachhaltige Stadtentwicklung“ werden daher bauliche Typologien, städtebauliche Konzepte und planerische Strategien für die Nachverdichtung bestehender Gewerbegebiete entwickelt - sowie deren Anwendbarkeit durch Modellvorhaben überprüft. Zu diesem Zweck werden zunächst für die vier Beispielregionen Berlin, Stuttgart, Kassel und Aachen die veränderten Ansprüche an Gewerbegebiete analysiert und Beispiele für gestalterische Optionen erarbeitet. Darauf aufbauend werden dann für die Region Stuttgart drei Modellvorhaben mit unterschiedlichen Ansätzen für eine systematische Weiterentwicklung von Gewerbegebieten zu produktiven Stadtquartieren ausgearbeitet, um den Innovationsgehalt der Ansätze zu und ihre Realisierbarkeit zu verifizieren.
Tilmann Jarmer, TU München
FORSCHUNGSIMPULSE: Einfach Bauen
Kurzstatement: Einfach Bauen = Form follows Klima, Material und Mensch.
Ist es wirklich eine gute Idee unsere Gebäude mit komplexen technischen Systemen auszustatten? Was bringt es Gebäude mit einer luftdichten Hülle aus Dämmung und Folien zum ummanteln? Können vielschichtige und von Technik durchzogene Konstruktionen auch noch in vielen Jahren bestehen? Ist es möglich material- und klimagerecht zu bauen und gleichzeitig einfach zu konstruieren? Kann gleichzeitig die notwendige Gebäudetechnik minimiert und sauber vom Gebäude getrennt werden?
Zur Klärung dieser Fragen werden eine Serie von Forschungsprojekten an der TU München von einem interdisziplinären Team durchgeführt – gefördert durch Zukunft Bau. Das Ergebnis: Einfaches Bauen ist möglich, wenn Materialeigenschaften und Klima die Konstruktion bestimmen, also tatsächlich, nicht nur metaphorisch. Durch die B&O Gruppe als Bauherren entstehen drei Geschosswohnungsbau in den Bauweisen Leichtbeton, Holz und Mauerwerk in Bad Aibling. Durch die Interaktion mit anderen Planern und ausführenden Firmen werden die entwickelten Konstruktionen und Strategien hinterfragt und weiterentwickelt. An den fertiggestellten Gebäuden kann dann über Messungen geprüft werden, ob die Simulationsergebnisse aus der Forschung sich in der Praxis so zeigen und wie sich die Nutzenden in den Gebäuden verhalten.
Betrachtet man den Lebenszyklus eines Gebäudes von Anfang bis Ende (cradle to grave) zeigt sich, dass vor allen weiteren Einflussfaktoren, das Verhalten des Nutzenden die Performance eines Gebäudes bestimmt.
Bis Ende 2020 soll ein, an potentielle Bauherren gerichteter Leitfaden entstehen, der die Ergebnisse der Forschungsarbeit und die Erfahrung aus dem Bauprojekt zusammenfasst.
Prof. Claudia Lüling, Frankfurt University of Applied Sciences
FORSCHUNGSIMPULSE: Gewebt, gewirkt, geschäumt – Bauen mit 3dTexilien
Kurzstatement: Textile Architektur der Zukunft ist selbsttragend, dämmend, leicht, vorfabrizierbar, formaktiv, multifunktional, aus recycelgerechten, strukturdifferenzierten Monomaterialverbünden und einstellbar opak bis transluzent.
Die Forschungsgruppe „Textiler Leichtbau“ an der FRA-UAS beschäftigt sich mit der Adaption mehrlagiger, sogenannter 3D-Textilien bzw. Abstandstextilien für Leichtbauanwendungen im Architekturbereich. Zusammen mit Textilunternehmen und Forschungseinrichtungen wie den Deutschen Instituten für Textil- und Faserforschung Denkendorf (DITF) wird in Industrie-, Forschungs- und Lehrprojekten untersucht, inwieweit Abstandstextilien aufgrund ihrer speziellen Struktur und definierbaren Materialstärke baulich und architektonisch relevante Aufgaben übernehmen können. Dazu gehören tragende, dämmende, schützende und klimaregulierende Funktionen ebenso wie überzeugende Gestaltung.
Derzeit werden zwei Anwendungsszenarien erforscht: Zum einen wird die Eignung von Abstandstextilien als verlorene Schalung zur Herstellung von Leichtwandelementen erforscht. Durch Anordnung und Abstände der Textillagen zueinander sowie durch die Nutzung der so entstandenen Kavitäten für geschäumte Materialien können Funktionen eines Außenwandelements übernommen werden. Im Gegensatz zu rein zugbeanspruchten Membrankonstruktionen ohne klimatischen Mehrwert entsteht dabei unter Nutzung des Abstandstextils als Füllform und zur Aufnahme von Zugkräften in Kombination mit porigen und druckstabileren Materialien ein zug- wie druckstabiler und dämmender Materialverbund. Untersucht werden im Projekt Ge3TEX dazu Basaltfasern und Schaumbeton, Glasfasern und Blähglas sowie Schäume und Textilstrukturen aus recyceltem PET-Material.
Zum anderen werden an der FRA-UAS Sonnenschutz- bzw. Verschattungselemente aus Abstandstextilien entwickelt, die als Ganzes aber auch innerhalb der textilen Struktur durch spezielle Bewegungsmechanismen zur Regulierung von Tageslichteinfall und Sichtbezügen dienen können. Abstandstextilien bieten hier durch ihre Geometrie und einstellbare Materialstärke spezifisch konstruktiv-ästhetische Möglichkeiten. Insbesondere durch die Integration von Bewegungsmechanismen ergeben sich dynamische Veränderungsoptionen bei geringem Energieeinsatz zur Steuerung des Lichteinfalls und der Transparenz, die in neuartigen Sonnenschutz- und Verschattungselementen Verwendung finden können.
MSc. Ondrej Kyjanek, FibR GmbH / ICD Uni Stuttgart
FORSCHUNGSIMPULSE: Mensch-Roboter-Kooperation im Holzbau: Potentiale für die Vorfertigung
Kurzstatement: Erhöhung des Automatisierungsgrades bei gleichzeitiger Beibehaltung eines hohen Maßes an Flexibilität in der Holzbauvorfertigung durch eine Mensch-Roboter-Kooperation Fertigungsstrategien.
Die Zahl der Holzneubauprojekte in Deutschland ist in den letzten Jahren stetig gestiegen. Die Nachhaltigkeit des Bauholzes in Verbindung mit seiner natürlichen Bearbeitungs- und Montagefreundlichkeit machen es zu einem sehr energieeffizienten Baumaterial. Darüber hinaus basiert der Holzbau heute auf Leichtbausystemen mit hoher Flexibilität und hohem Vorfertigungsgrad, die den notwendigen Ortbau auf ein absolutes Minimum reduzieren.
Im Vergleich zu anderen Branchen ist der Automatisierungsgrad der Fabrikhallen im Holzbau jedoch leider sehr gering, da die meisten Prozesse auf handwerkliches Können und Handarbeit beruhen. Darüber hinaus machen die einmaligen Produktionsmerkmale der Bauwirtschaft zusammen mit der geforderten Projektflexibilität eine standardisierte seriennahe Automatisierungsstrategie für die meisten, aber die größten Holzbauunternehmen nicht möglich.
Der Vortrag stellt die Ergebnisse des Projekts Mensch-Roboter-Kooperation im Holzbau vor: Potentiale für die Vorfertigung durchgeführt in den letzten zwei Jahren am Institut for Computational Design and Construction der Universität Stuttgart. Das Projekt untersuchte einen alternativen Ansatz zur Erhöhung des Automatisierungsgrades der Holzbauvorfertigung unter Verwendung einer neuartigen Fertigungsstrategie für die Mensch-Roboter-Kooperation (MRK).
Im Mittelpunkt der Präsentation stehen die beiden Demonstratoren möglicher kooperativer Arbeitsabläufe, die im Rahmen des Projekts entwickelt wurden. Der erste Demonstrator wurde in Zusammenarbeit mit der KUKA AG realisiert und zielte darauf ab, die Programmierung und Steuerung von kollaborativen Robotern durch eine neuartige Augmented Reality Mensch-Roboter-Interaktion zu vereinfachen. Der zweite Demonstrator konzentrierte sich auf die Effizienzsteigerung der Standardholzvorfertigung und wurde im Rahmen eines größeren Forschungsprojekts zur Herstellung einer Holzplattenschale in Zusammenarbeit mit der Müllerblaustein Holzbau GmbH entwickelt.
Dipl.-Ing. (FH) Simone Bosch-Lewandowski, Weeber+Partner GmbH, Stuttgart/Berlin
FORSCHUNGSIMPULSE: Soziale Mischung und gute Nachbarschaft in Neubauquartieren - Planung, Bau und Bewirtschaftung von inklusiven Wohnanlagen
Kurzstatement: Soziale Mischung muss in baulicher Vielfalt angelegt werden.
Soziale Mischung in Wohnquartieren ist eine wichtige Aufgabe für Stadtentwicklung und Wohnungspolitik. Auf das schwieriger werdende Zusammenleben in einer heterogener werdenden Gesellschaft muss die Entwicklung von Wohnanlagen reagieren. Das Forschungsprojekt vertieft das Wissen über funktionierende soziale Mischung in Nachbarschaften, in denen auch preisgünstige Wohnungen, unterschiedliche Wohnformen sowie Haushalte mit erschwertem Zugang zum Wohnungsmarkt erwünscht sind.
Am Forschungsprojekt beteiligt waren 14 Wohnungsunternehmen unterschiedlichen Typs. Im Fokus der Untersuchung aus Unternehmens- und Bewohnerperspektive stehen ihre 16 Fallbeispiele. Alle Phasen sozial gemischter Neubauquartiere werden analysiert: Strategien und Konzepte, baulich-räumliche Gestaltung und Umsetzung sowie Belegung und Bewirtschaftung.
Die Diskussion zu sozialer Mischung und Segregation beim Wohnen wird heute nicht mehr als ein Entweder/Oder geführt, sondern offen. Die beteiligten Wohnungsunternehmen wollen ihre Quartiere explizit sozial mischen und entwickeln die Mischungskonzepte quartiersspezifisch ohne Normstrategien. Die Unternehmen wie auch die Bewohner haben mit Vielfalt in ihren Neubauten keine besonderen Schwierigkeiten. Gemischt wird in unterschiedlichem Maßstab: Haus, benachbarte Gebäude, Quartier. Auch mit einer kleinteiligen Mischung von geförderten und freifinanzierten Mietwohnungen innerhalb eines Hauses sind die Unternehmen wie die Bewohner gleichermaßen zufrieden. Es wäre zu kurz gegriffen, die soziale Vielfalt nur an der Belegung festzumachen. Die soziale Mischung beruht wesentlich auf verschiedenartigen Wohnungstypologien und Wohnformen mit vielgestaltigen Grundrissen für Haushalte in unterschiedlichen Lebenssituationen. Dabei ist auch die Mischung der Finanzierungsformen mit geförderten und freifinanzierten Mietwohnungen sowie Eigentum maßgebend.