Warum infektionspräventiv bauen?
Einleitung
Die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie und die daraus resultierenden gravierenden gesellschaftlichen Einschränkungen verdeutlichen, dass umfassende Maßnahmen zur Eindämmung dieser und zur Vermeidung zukünftiger Pandemien, Endemien und lokaler Infektionsausbrüche erforderlich sind. Auch die vielen Toten und Erkrankten infolge des Infektionsgeschehens sind festzustellen und begründen den Bedarf nach umfassenden Methoden der Infektionsprävention. Die Möglichkeit des Auftretens neuer Erreger ist hoch. Ständig werden neue Bakterien, Viren, Pilze und Parasiten entdeckt, die das Potenzial haben, Infektionen beim Menschen hervorzurufen. Kritisch ist das Auftreten neuer Erreger insbesondere dann, wenn sie sich schnell ausbreiten, oder besonders pathogen und multiresistent sind, sodass Antibiotika zunehmend wirkungslos werden. Dies betrifft alle Lebensbereiche. In unserer Gesellschaft gibt es eine hohe Anzahl von kritischen Infrastrukturen, wie z.B. Bauten der Bildung, der Verwaltung, der medizinischen Versorgung und der Pflege, die eine zentrale Bedeutung für das Gemeinwesen haben und für die Aufrechterhaltung einer funktionsfähigen Gesellschaft unerlässlich sind. Beeinträchtigungen oder Ausfälle können zu erheblichen Störungen wie Versorgungsengpässen führen [1]. Folglich kann die öffentliche Sicherheit, das Gesundheitswesen und das Bildungssystem gefährdet sein, sodass hohe volkswirtschaftliche und soziale Schäden entstehen können. Gleichzeitig können sich die entsprechenden Infrastrukturen zu Infektionsorten mit enormer Tragweite entwickeln.
Zwangsläufig trägt jeder einzelne Baustein in der Infektionsprävention dazu bei, unser gesellschaftliches Leben möglichst frei von Restriktionen führen zu können. Die Architektur kann dazu einen Beitrag leisten, indem einerseits prozessuale Bedingungen für das richtige Verhalten der Nutzenden innerhalb eines Gebäudes geschaffen werden und andererseits auch baukonstruktiv und materiell zielgerichtet geplant wird. So kann ein ausgewogenes, gesundheitsförderndes Raummikrobiom [2] oder auch eine gute Desinfizierbarkeit der Flächen in kritischen Bereichen gewährleistet werden. Die Belüftungstechnik der Gebäude kann zudem Einfluss auf die aerogenen Übertragungswege der Erreger nehmen. Eine Grundrissanordnung mit entsprechend ausreichender Erschließung kann beispielsweise die Kohortierung der Nutzenden eines Gebäudes erleichtern. Über präventive Maßnahmen hinaus müssen auch die geeigneten baulichen Bedingungen geschaffen werden, um im Akutfall richtig reagieren zu können. Es gilt daher eine große Zahl baulicher Maßnahmen zu beachten, die sowohl im Neubau, als auch im Bestand umgesetzt werden können und sich von der Skala des Gesamtgebäudes bis hin zum baulichen Detail erstrecken.
Planenden fehlen aktuell noch konkrete Leitlinien, die gebaute Umgebung für die Infektionsprävention hinsichtlich der Basishygiene aber auch während lokaler oder globaler Infektionsausbruchssituation richtig zu entwerfen bzw. zu ertüchtigen. Prozessuale Maßnahmen für eine effektive Prävention können aber nur in geeigneter Umgebung erfolgreich durchgeführt werden. Vielerorts ist der Gebäudebestand nicht an diese Anforderungen angepasst. Auf dieser Webseite werden allgemeingültige sowie spezifisch für die Bereiche des Krankenhaus-, Flughafenbaus und landwirtschaftlicher Bauten geltende Empfehlungen zur baulichen Infektionsprävention vorgestellt.
Im Allgemeinen bestehen vier verschiedene Strategien, um das Eintragen und die Verbreitung von Erregern zu verhindern:
Zu diesen Strategien gehört die Elimination von Erregern mittels Screening, Tests und Quarantäne, um den potenziellen Vektor, sprich Krankheitsüberträger, räumlich zu beschränken und zu isolieren.
Des Weiteren können technische Maßnahmen wie eine verstärkte natürliche, hybride oder mechanische Belüftung, Luftfiltration und -desinfektion die Erregerlast in der Luft reduzieren, Erreger abtöten oder herausfiltern, sodass sich Personen weniger häufig über den Luftweg infizieren können. Auch können in landwirtschaftlichen Betrieben Barrieren gebaut werden, um Nutztiere vor dem Kontakt mit potenziellen Vektoren zu schützen.
Verhaltensstrategien, wie etwa eine Gesichtsmaske zu tragen, Abstand zu halten und weitere Hygienemaßnahmen wie die Händedesinfektion, können Personen je nach Methode vor aerogenen, oder vor Kontakt- und Schmierinfektionen schützen.
Zu den administrativen Strategien gehören Kohortierung, gezielte Wegeführung, Gruppierung, Verlagerung von Innenraum- hin zu Freiluftaktivitäten und die Schließungen von Einrichtungen, um die entsprechende Gebäudepopulation und Anzahl möglicher Übertragungen einzuhegen bzw. in Teilpopulationen abzutrennen.
In der Planung gilt es, die geeigneten Rahmenbedingungen zu schaffen, um diese Strategien erfolgreich umsetzten zu können. Dabei müssen unter anderem mikrobiologische, infektiologische, soziologische, psychologische und bauphysikalische Erkenntnisse einbezogen werden. Planungsfehler können dagegen bei der späteren Nutzung eines Gebäudes infektionsfördernde Umgebungen schaffen und eine korrekte Reaktion auf einen Akutfall verhindern. In Deutschland bestehen zwar Klassen, Regeln und Empfehlungen, die sich mit Detailbereichen von z.B. Haustechnik oder Hygiene befassen, jedoch nicht standardisiert sind und zu einer großen Heterogenität der architektonischen und technischen Gegebenheiten führen. Bisher werden nur Leitlinien zum infektionspräventiven Bauen für Krankenhäuser, nicht jedoch für andere Infrastrukturen öffentlich bereitgestellt. Hinzu kommt, dass Planungsempfehlungen für die bauliche Infektionsprävention zumeist eminenzbasiert sind. Erst zuletzt halten auch evidenzbasierte Empfehlungen Einzug, wie z.B. bei den KRINKO-Empfehlungen des Robert Koch-Instituts. Insbesondere müssen neue Erkenntnisse zur luftgetragenen Übertragung von Pathogenen berücksichtigt werden [3].
Um diese große Herausforderung für Planende und Architekten zu meistern und einen Beitrag für ein gesundes Zusammenleben zu schaffen, werden an dieser Stelle einige Informationen aus vergangenen und laufenden Forschungsprojekten zur baulichen Infektionsprävention gesammelt und zur Verfügung gestellt. Die Architektur muss als Weichensteller begriffen werden, der in der Bestandsnutzung baulich ein infektionspräventives Verhalten ermöglichen und kontraproduktives Verhalten oder das Unterlassen von Empfehlungen verhindern kann. Neben der primären Population eines Gebäudes kann so auch die sekundäre Population geschützt werden. In einer Schule gehören beispielsweise Lehrkräfte, Schüler und das weitere Personal zur primären Population, Familienangehörige, Pflegende, Freunde und die Gemeinde im weiteren Sinne zur sekundären Population.
Zukünftige Wissensplattform zum infektionspräventiven Bauen wird erarbeitet
Unter der Federführung des Instituts für Konstruktives Entwerfen, Industrie- und Gesundheitsbau (IKE) der TU Braunschweig arbeiten Architekten, Designer, Epidemiologen, Hygieniker, Materialwissenschaftler und Haustechniker interdisziplinär an der Vermittlung von Wissen zum infektionspräventiven Bauen. Ziel des Verbundes ist die sektorübergreifende Zusammenführung und Veranschaulichung von Risikofaktoren zur Infektionsübertragung hinsichtlich baulicher Gegebenheiten und den damit verbundenen prozessualen Abläufen. Konkrete Handlungsempfehlungen zur Unterbrechung von Infektionsausbreitungswegen für die Bereiche Bau, Material und Haustechnik werden sowohl für Neu- wie Bestandsbauten auf der frei zugänglichen Wissensplattform dargestellt.
Es werden allgemein anwendbare, aber auch gebäude- und prozessspezfische Modelllösungen auf unterschiedlichen Informationstiefen für die beiden Hauptzielgruppen Planende sowie Nutzende bereitgestellt. Dies geschieht sowohl niedrigschwellig durch eine grafische Darstellung sowie durch eine Einordnung verschiedener Maßnahmen als auch durch eine komparative Darstellung verschiedener Gebäudetypologien in den Bereichen Schul-, Kita-, Krankenhaus-, Altenheim-, Arztpraxen- und Flughafenbau. Dadurch können zukünftig Entscheidungen in Planungsprozessen aufgeklärter und zielgerichteter getroffen werden. Zudem werden kostenfreie Bewertungs- und gegebenenfalls auch Simulationswerkzeuge, anhand derer die Planenden ihre Entwurfsvarianten hinsichtlich ihres Infektionspräventionspotenzials überprüfen können, implementiert. Dieselben Werkzeuge werden auch Nutzenden und Leitenden der Infrastrukturen zur Einschätzung der Lage im Bestand verfügbar gemacht. Dadurch werden Nutzende zielgruppengerecht aufgeklärt, um mit der gebauten Umgebung infektionspräventiv umgehen zu können, bestehende Informationsinseln im Themenbereich des infektionspräventiven Bauens zusammengefasst und ein effektiver Dialog zwischen Planenden, Nutzenden und öffentlichen Trägern bei Sanierungsarbeiten ermöglicht. Die Wissensplattform ist erweiterungsfähig, sodass kontinuierlich neue Erkenntnisse und Disziplinen eingebunden werden können.
Quellen
[1] Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, Biologische Gefahren I, Handbuch zum Bevölkerungsschutz, 3. Auflage, Bonn 2007
[2] Hugentobler, Walter J., 2019: Gesundheitliche Aspekte von Gebäudetechnik und Architektur In: Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung BBSR (Hrsg.): Lowtech im Gebäudebereich – Fachsymposium TU Berlin 17.05.2019:, Zukunft Bauen. Forschung für die Praxis, Bd. 21
[3] Correia G, Rodrigues L, Gameiro da Silva M, Gonçalves T, Airborne route and bad use of ventilation systems as non-negligible factors in SARS-CoV-2 transmission, In: Medical Hypothe-ses, Volume 141, 2020