Bauliche Infektionsprävention in der Landwirtschaft
Herausforderungen und Infektionsgeschehen
Nicht zuletzt durch die Globalisierung des Personen-, Tier- und Warenverkehrs erhöht sich das Risiko der Einschleppung und Ausbreitung von Tierseuchen. Wer landwirtschaftliche Nutztiere hält, hat zur Vorbeugung und Bekämpfung gemäß § 3 Tiergesundheitsgesetz dafür Sorge zu tragen, dass Tierseuchen weder in seinen Bestand eingeschleppt noch aus seinem Bestand verschleppt werden. Epidemiologische Untersuchungen von Tierseuchenausbrüchen haben jedoch häufig Defizite im Bereich der Biosicherheit identifizieren, deren Ursache oft bereits in der fehlenden Berücksichtigung von Hygieneanforderungen in der baulichen Konzeption der landwirtschaftlichen Betriebe liegt.
Gebäudeklassifikationen im Bereich der Gebäudeplanung, die meist in Normen und Verordnungen erfasst werden, gibt es unter der klassischen Differenzierung nach Konstruktion und Material, nach Funktion, nach Gestalt, nach rechtlichen Gesichtspunkten und nach Energiestandards. Auch wenn es bestehende Klassifikationen und Leitlinien gibt, die Einfluss auf die bauliche Konzeption im Rahmen der Infektionsprophylaxe in explizit ausgewählten Sonderbereichen haben - wie z.B. die biologischen Sicherheitsstufen S1-S4 für Laborbereiche, Produktionsbereiche, Gewächshäuser und Tierhaltungsräume nach dem Gentechnikgesetz (GenTG) oder die technischen Regeln für biologische Arbeitsstoffe (TRBA 500) - so existieren bisher keine Klassifikationsmodelle und Standards, die Aussagen zur baulichen Infektionsprävention für die Landwirtschaft beinhalten.
Die exemplarisch genannten Klassen, Regeln und Empfehlungen befassen sich mit Teil- bzw. Detailbereichen von z.B. Haustechnik oder Hygiene. Eine übergeordnete, ganzheitliche Betrachtung findet nicht statt. Dem Planer wird aufgrund der unübersichtlichen Vorschriftenlage die Planungstätigkeit erschwert und die bauliche Infektionsprävention folglich nicht optimal realisiert.
Dabei könnte die infrastrukturelle Gestaltung einer Tierhaltung die Umsetzung von Biosicherheitsmaßnahmen in den täglichen Routineabläufen maßgeblich unterstützen. Eine sachgerechte Planung sowie die Zusammenarbeit von Architekten, Landwirten und Tierärzten sind unerlässlich, um wichtigen Biosicherheitsmängeln sowie möglichen finanziellen und Tierverlusten vorzubeugen.
BIPROC - Entwicklung eines Klassifikationssystems zur baulichen Infektionsprävention auf Grundlage neuer epidemiologischer Erkenntnisse | |
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Projektleitung |
Institut für konstruktives Entwerfen, Industrie- und Gesundheitsbau, TU Braunschweig |
Kontakt Projektkoordinierung |
gesundheitsbau-ike@tu-braunschweig.de |
Forschungskonsortium |
- Institut für konstruktives Entwerfen, Industrie- und Gesundheitsbau (IKE), TU Braunschweig |
Förderzeitraum |
10.2017-10.2021 |
Auslobung/Call |
Infect Control 2020 |
Mittelgeber |
Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) |
Förderträger |
Projektträger Jülich (PtJ) |
Förderkennzeichen |
03ZZ0828A |
Die hier beschriebenen Erkenntnisse stammen aus dem Projekt „BIPROC - Entwicklung eines Klassifikationssystems zur baulichen Infektionsprävention auf Grundlage neuer epidemiologischer Erkenntnisse“ [1].
Das Projekt hat das Ziel, die Einordnung von Gebäude- und Infrastruktursystemen in eindeutige, standardisierte Klassen aus infektionsprophylaktischer Sicht vorzunehmen. Diese Klassifikation - evtl. vergleichbar mit Brandschutz- oder Energieeffizienzklassen für Gebäude - soll die Planer dieser Infrastrukturen bei der Wahl der Maßnahmen zur baulichen Infektionsprävention unterstützen und diese zumindest national vergleich- und bewertbar gestalten. Das dort entwickelte Rahmenwerk ist weder orts-, tierart- oder erregerspezifisch formuliert, um mittelfristig eine Typologie-übergreifende Anwendung finden zu können. Es soll ein Grundwissen zur baulichen Infektionsprävention in der Tierhaltung und vereinheitlichte Begriffsdefinitionen vermitteln.
Die Anzahl der potenziell gefährdenden Vektoren, bzw. Krankheitsüberträger, die unkontrolliert auf ein Infrastruktursystem einwirken, ist in der Landwirtschaft wesentlich höher, als in anderen Bereichen der gebauten Umwelt, wodurch die Komplexität im Gegensatz zu anderen Typologien übermäßig erhöht wird. In der Abwesenheit von verbindlichen Standards bleibt es in großen Teilen dem Betreiber überlassen, starke bauliche Infektionspräventionsmaßnahmen mit anderen Bedarfen, wie z.B. dem Tierwohl, in Einklang zu bringen, um eine möglichst befriedigende Gesamtlösung zu erhalten.
Eine Übertragbarkeit von einem Betrieb zum nächsten ist nur bedingt gegeben, da die Gestaltung und Infrastruktur eines Tierhaltungsbetriebes durch eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst wird. Neben der Art des Betriebes (Hobby-, Familien- oder Handelsbetrieb), der Tierart, der Spezialisierung, dem Produktionssystem, der Größe usw. ist sie immer auch Ausdruck der örtlichen Gegebenheiten (z.B. Lage und Topografie), der Entstehungszeit und der späteren Entwicklungsgeschichte. Die Anordnung von Gebäuden unterliegt nicht einem festen Regelwerk, sondern es haben sich im Laufe der Zeit systematische Baumuster entwickelt, die auf ähnliche Ebenen von Einflussfaktoren zurückgehen. Diese können z.B. anhand von Luftbildern untersucht und für die Bewertung von Aspekten der Biosicherheit herangezogen werden. Aufgrund der Vielzahl der oben genannten Einflussfaktoren bleibt jeder Betrieb jedoch einzigartig, nicht nur in Bezug auf die gesamte Gebäudeinfrastruktur, sondern auch in der nicht standardisierten Behandlung von funktionalen Komponenten wie Zäunen, Barrieren, Oberflächen und Zugangskontrollmaßnahmen.
Im Zuge eines übertragbaren Ansatzes wurde im Projekt BIPROC das Augenmerk darauf gelegt, die Übertragungswege von Krankheitserregern durch Kontrolle der sie verbreitenden Vektoren zu unterbrechen. Unterschieden wird zwischen sich autonom bewegenden (z. B. Aerosole) und sich nicht autonom bewegenden (z. B. Fahrzeuge) Vektoren, zudem ob die Bewegung beabsichtigt/ erwünscht (z.B. notwendige Bewegungen potenzieller Vektoren wie Luft, Menschen, Tiere, Verbrauchsgüter etc.) oder unbeabsichtigt/ unerwünscht (z.B. kontaminierte Aerosole, Insekten, Nagetiere oder Wildtiere) ist. Um unbeabsichtigte Bewegungen von sich autonom bewegenden Vektoren in einem landwirtschaftlichen Betrieb zu vermeiden, d. h. um Wege der Erregerübertragung im Sinne der externen Biosicherheit zu unterbrechen, wurden die Physiognomie, die Arten der Fortbewegung und die Bewegungsmerkmale der Vektoren bewertet. Der vorgeschlagene Rahmen unterscheidet dabei drei Fortbewegungsarten (Gehen, Fliegen, Schwimmen) und vier spezifische Bewegungsmerkmale, (Klettern, Graben, Springen und passive Fortbewegung).
Der Schwerpunkt der baulichen Infektionsprävention für landwirtschaftliche Betriebe liegt darauf, unbeabsichtigte Bewegungen zu verhindern und beabsichtigte Bewegungen zu kontrollieren. Unter diesem Gesichtspunkt können Tierhaltungsbetriebe in drei Hauptkomponenten unterteilt werden: Bereiche, Barrieren und Schleusen.
- Bereiche: Der Begriff bezieht sich in der Regel auf einen abgegrenzten Raum für eine bestimmte Nutzung oder Tätigkeit. Funktionsflächen können auf zwei Arten klassifiziert werden: nach ihrer Dimensionierung oder nach ihrem Inhalt. Einzelne Funktionsbereiche können gruppiert oder kombiniert werden. Sie können dann Funktionszonen bilden. Im Hinblick auf die bauliche Infektionsprävention jedoch müssen die Bereiche entsprechend ihrer Fähigkeit, ein bestimmtes Maß an Sicherheit für ihren Inhalt zu bieten, beschrieben und bewertet werden. Biosicherheitsbereiche können nach ihrem Hygieneniveau (z. B. "gelb und hellrot" Bereiche oder epidemiologische Einheiten) oder nach ihrem gemeinsam zwischen Planer, Betreiber und Veterinärmediziner wahrgenommenen Biosicherheitsrisiko eingeteilt werden: Bereiche mit einer Nutzung mit erhöhtem Risiko (z. B. Quarantänestall, Kälberküche) und Bereiche mit einer Nutzung mit geringerem Risiko (z. B. Sozialgebäude). Biosicherheitsbereiche können somit einen oder mehrere Funktionsbereiche enthalten und können unabhängig oder konzentrisch angeordnet sein.
- Barrieren: diese existieren in Form unterschiedlicher Barriere-Typen, welche als baulich-funktionale Elemente den unkontrollierten Übertritt von gefährlichen Vektoren verhindern. Eine Barriere kann die Infektionsketten physisch, olfaktorisch oder visuell unterbrechen, z.B. durch Schilder, Schranken, Zäune, aber auch aerosoldichte Raumhüllen.
- Schleusen: mit jedem Barriere-Typ sind mehrere Schleusentypen assoziiert. Die Typisierung basiert auf funktionaler Ebene (z.B. Personen- Fahrzeug-, Materialschleuse). Innerhalb der Schleuse werden physische, biologische und/ oder chemische Maßnahmen (z.B. Duschen, Kleidungswechsel, Desinfektion etc.) durchgeführt, um zutrittsnotwendigen Vektoren nach erfolgreicher stufen- und funktionsabhängiger Konditionierung kontrolliert Zutritt zu ermöglichen. Durch diese operationellen Maßnahmen wird die Menge der Erreger von Infektionskrankheiten in oder auf einem Vektor reduziert und so das Risiko der Einschleppung von Krankheitserregern verringert. Besonders für Schleusen müssen notwendige Managementprozesse und bauliche Maßnahmen auf einander abgestimmt werden.
Die Einrichtung von Barrieren und Schleusen um definierte Bereiche in Kombination mit operativen Maßnahmen verhindert die unkontrollierte Bewegung ausgewählter Vektoren. Um ein höheres Maß an Sicherheit zu erreichen, werden Biosicherheitsbereiche in der Regel nicht nur durch eine einzige Barriere geschützt, sondern durch eine Abfolge von Bereichen und Barrieren mit progressiven Biosicherheitsstandards.
Hinzu kommen zusätzliche betriebsspezifische Bewirtschaftungsmaßnahmen: spezifische Verfahren, die in einem Biosicherheitsbereich mit dem Ziel durchgeführt werden, den Infektionsdruck auf dem Betriebsgelände zu verringern. Zusätzliche Maßnahmen stehen im Gegensatz zu den operationellen Maßnahmen nicht im Zusammenhang mit Barrieren oder Schleusen. Dazu gehören z.B. die Registrierung der Besucher bei ihrer Ankunft, die Impfung der Tiere, die Sauberhaltung der Flächen, die Kontrolle des Pflanzenwachstums, Maßnahmen, die den Betrieb für Wildvögel und Insekten weniger attraktiv machen (z. B. durch Beseitigung von Flächen mit stehendem Wasser) etc. Ähnlich wie bei den operationellen Maßnahmen können zusätzliche Maßnahmen eine spezielle Ausrüstung (z. B. Wasserversorgung) oder bauliche Maßnahmen (z. B. gepflasterte oder geneigte Wege) erfordern.
Ankündigung
Weitere Grundlagen für die bauliche Infektionsprävention in der Landwirtschaft werden derzeit im Projekt BIPROC erarbeitet und weiterentwickelt. Das Klassifikationssystem und die Bewertungsmatrix sollen demnächst veröffentlicht werden.
Quellenverzeichnis
[1] Bucherer M, Holzhausen J, Conraths FJ, Probst C (2021): Infrastructure of animal farms: key constructional elements in terms of biosecurity based on experience from Germany. Berliner Und Münchener Tieraerztliche Wochenschrift, 134: 1–12. DOI:
https://doi.org/10.2376/1439-0299-2020-37
Bild- und Grafiknachweis
Wenn nicht anders angegeben: Michael Bucherer / Institut für Konstruktives Entwerfen, Industrie- und Gesundheitsbau (IKE) – TU Braunschweig