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Architekturqualität im kostengünstigen Wohnungsbau

Auf der Suche nach bisher unbeachteten und ungenutzten Potenzialen, einen kostengünstigen und trotzdem architektonisch qualitativ hochwertigen Wohnungsbau zu fördern, gingen 130 Architekten und Vertreter der Immobilienbranche am 16. April 2015 in Berlin den Dialog ein. Dazu aufgerufen hatte das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit BMUB in Kooperation mit der Bundesarchitektenkammer BAK.

Architekten kommt hierbei eine wichtige und nicht immer konfliktfreie Rolle als Verfechter der Baukultur auf der einen Seite und als Treuhänder des Bauherrn auf der anderen Seite zu. Besonders im kostengünstigen Wohnungsbau – der in vielen Fällen auch mit öffentlich gefördertem, sozialem Wohnungsbau gleichzusetzen ist – muss der Planer in einem sehr engen Korsett aus Budget, Anforderungen, Normen und Regelwerken agieren.

Hintergrund für das aktive Einfordern der Meinungen – sowohl von Planern als auch von Vertretern großer Wohnungsbaugesellschaften als Bauherrn – sind die Bestrebungen des Mitte 2014 ins Leben gerufene „Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen“ des BMUB. Dieses hat sich mit der Baukostensenkungskommission – an der Architekten und Ingenieure, die Wohnungswirtschaft, aber auch die Wissenschaft und öffentliche Körperschaften wie Bund, Länder und Kommunen beteiligt sind – zum Ziel gesetzt, den steigenden Wohnraumbedarf, besonders in den Ballungszentren, zu decken und gleichzeitig soziale, demografische, energetische und besonders auch baukulturelle Anforderungen zu berücksichtigen. Die wissenschaftliche Begleitung der Baukostensenkungskommission wird durch die InWIS Forschung & Beratung GmbH, Bochum, durchgeführt, deren Geschäftsführer Michael Neitzel den Teilnehmern die Tätigkeiten der Kommission vorstellte. Zuvor hob Hans-Dieter Hegner, Ministerialrat im BMUB und Leiter des Referats Bauingenieurwesen, Nachhaltiges Bauen und Bauforschung, zu Beginn der Veranstaltung deren Arbeitscharakter hervor. Der Fokus des Symposiums bestand nicht darin, definierte Inhalte zu vermitteln, sondern ganz im Gegenteil, ein ergebnisoffenes, möglichst ehrliches und konstruktives Feedback der Architekten und Wirtschaftsvertreter zur Analyse der Kostentreiber und Optimierung der Standards, Planungs- und Bauprozesse zu erzielen. Joachim Brenncke, Vizepräsident der Bundesarchitektenkammer, Berlin, betonte den besonderen Charakter der Veranstaltung. „Das was wir hier heute machen, ist nicht üblich. Wir haben nun die Chance, uns in viele Prozesse, die etwas mit gesellschaftlichen Änderungen im Planen und Bauen zu tun haben, einzubringen.“ Die langfristige Zielsetzung ist es, die Ergebnisse der Planer-Expertise gemeinsam mit den Resultaten aus Fachausschüssen und Gutachten in einen konkreten Maßnahmenkatalog der Baukostensenkungskommission einfließen zu lassen. Besonders die zuzugsstarken Ballungszentren benötigen dringend zusätzlichen Wohnraum, und diesen vor allem im niedrigpreisigen Segment. Darüber sind sich alle Beteiligten einig, über den Weg dorthin wurde jedoch stark diskutiert. In vier Workshops zu den übergeordneten Schwerpunktthemen Grundrisse, Konstruktion, Wettbewerbsverfahren und Planungs- und Bauprozesse wurden Impulsvorträge gehalten und teils provokante Thesen aufgestellt.

Einleitend gab Prof. Dr. Thomas Jocher, Institut Wohnen und Entwerfen, Universität Stuttgart, einen Rückblick auf „Die unendliche Geschichte des billigen Wohnens“ und griff damit schon relevante architektonische Themen wie Gebäudeform und Anordnung, Grundrissgestaltung, Flächenverbrauch, Erschließungssysteme, Bauweise, Konstruktion und Vorfertigung auf. Christian Roth von zanderrotharchitekten, Berlin, sprach in seinem Vortrag „Strategien im Wohnungsbau“ über alternative Vorgehensweisen durch das Bauen in Baugemeinschaften.

Im „Workshop Grundrisse“ stellten sich die Teilnehmer unter Leitung des Moderators Olaf Bartels die Frage, wie Wohnungen altersgerecht, flexibel und flächeneffizient gestaltet sein sollen. André Kempe, Atelier Kempe Thill, Rotterdam, der zwar kurzfristig verhindert war, jedoch vorab seine Thesen eingereicht hatte, befürwortet eine kompakte Form, sieht Architektur als Infrastruktur und den Schlüssel in einer systematischen Bauweise. Der zweite Impulsredner Frank Junker, Vorsitzender der Geschäftsführung, ABG Frankfurt Holding befürwortet die Minimierung von Verkehrs- und Mietflächen sowie eine Dehierarchisierung der Raumnutzung. Neben einer kontroversen Diskussion um das Thema der Qualität im allgemeinen, drehte sich die Debatte u.a. um die Reduzierung der Flächenstandards pro Person, die Flexibilität der Grundrisse und eine Flächenoptimierung im Sinne der Nutzerrelevanz, im Zuge dessen wurde auch das Thema der Barrierefreiheit diskutiert.

Prof. Georg Sahner, Hochschule Augsburg, G.A.S und Kristina Jahn, Vorstand der degewo AG, Berlin, befassten sich im „Workshop Konstruktion“ mit den Standards, die für eine architektonisch anspruchsvolle und kostengünstige Gestaltung notwendig sind. Georg Sahner nutzte seinen Impulsvortrag als Plädoyer für die Radikalisierung der Vereinfachung des Bauens, für Elementierung, Standardisierung und Wiederverwertbarkeit von Materialien und Systemen. Kristina Jahn gab Einblicke in die Vorgehensweise der degewo, die versucht, durch die Übernahme von Teileigenleistungen der Planung, die frühe Einbindung der ausführenden Firmen sowie vorab festgelegte Konstruktion- und Planungsparameter die Konstruktionskosten zu reduzieren. In der anschließenden Diskussion beschäftigten sich die Teilnehmer mit der Bedeutung von Normen, einer möglichen Übernormierung und deren Revision. Auch die klare Definition der Nutzerbedürfnisse wurde als Potenzial zu Kostenreduzierung gesehen. Als Beispiel wurde hier das veränderte Mobilitätsverhalten der Stadtbewohner und der daraus resultierende Umgang mit den Aspekten Parkplatznachweis und Tiefgarage genannt – in beiden Themen läge großes Potenzial. „Um ein Fazit zu finden, könnte man sagen: Die wichtigste Einsparressource ist die architektonische Intelligenz. Die Fähigkeit von Architekten, Routinen zu hinterfragen, „Common Sense“ anzuwenden und genau zu definieren, was Sinn macht“, fasste Moderator Andreas Ruby zusammen.

Bärbel Winkler-Kühlken vom IfS Institut für Stadtforschung und Strukturpolitik, führte durch den „Workshop Wettbewerbsverfahren“ und die Frage danach, wie Ideenvielfalt und ganzheitliche Lösungen im Wohnungsbau befördert werden können. Alle Teilnehmer waren sich einig, dass Wettbewerbe ein wichtiger Teil der Baukultur sind und stärker gefordert und gefördert werden müssen. Jochen König, hks Jochen König Architekten & Gesamtplaner, Aachen, sprach sich für eine klare Aufgabendefinition bei Wettbewerben aus, für eine größere Teilnehmerzahl und mehr offene Verfahren. Denn in der Vielfalt sei die Qualität zu finden. Weiterhin bräuchten wir mehr Mut zum Experiment und zu einem neuen Denken. Prof. Dr. Matthias Ottmann, Fachgebiet Immobilienwirtschaft und Stadtentwicklung, TU München und Geschäftsführer Urban Progress, München, sieht Potenzial in einer stärkeren Berücksichtigung der Gegebenheiten. Darunter versteht er sowohl die frühzeitige Integration von Bürgern und Initiativen, als auch städtebauliche Aspekte und eine ausgeprägtere Verzahnung von Wettbewerb und Bauleitplan. Zusammenfassend wurde ein stärkerer Dialog mit der Bauherrenschaft gewünscht, der leider im Rahmen des Workshops, für den sich hauptsächlich Architekten gemeldet hatten, nicht wie geplant geführt werden konnte.

Im „Workshop Planungs- und Bauprozesse“ befassten sich die Teilnehmer unter der Moderation von Peter Friemert, Zebau, mit den Aspekten einer qualitätsvollen und gleichzeitig effizienten Umsetzung in Planung und Ausführung. Prof. Dr. Rudolf Hierl, Hochschule Regensburg, Hierl Architekten BDA DWB, München, verdeutlichte anhand von drei Objekten, welchen enormen Einfluss das Vergabefahren auf die Kostenentwicklung haben kann. Dabei sprach er sich für eine Deregulierung von Planungs- und Bauprozessen, für die Stärkung der Verhandlungskompetenz im Vergabeverfahren und für grundsätzlich mehr Handlungsspielräume, besonders im geförderten Wohnungsbau, aus. Achim Nagel, Geschäftsführer PRIMUS developments GmbH, Hamburg, befasste sich mit den Möglichkeiten der Partizipation und stellte exemplarisch das IBA Selbstbauprojekt Grundbau und Siedler in Hamburg vor. Seine Thesen zur Kostenreduzierung zielen auf das Selbstverständnis des Architekten und den Dialog mit dem Bauherrn ab, der einen traditionellen Baumeister braucht und auch nach der Baufertigstellung nicht alleine gelassen werden darf. Die anschließende Diskussion drehte sich um das Selbstverständnis und die Kompetenzen von Architekten sowie die Schnittstellen zu den Fachplanern. Angesprochene Aspekte waren hierbei die Transparenz der Prozesse, eine denkbare Lösung wurden in der Integration von BIM gesehen. Auch die Lebenszyklusbetrachtung von Gebäuden sowie mögliche weitere Aufgaben für Architekten nach der Leistungsphase 9 wurden diskutiert. Als Fazit des Workshops steht eine erweiterte Kompetenz der Architekten im Mittelpunkt der Optimierung der Prozesse und der Kosteneinsparpotenziale.

Die detaillierte Zusammenfassung aller Vorträge, der Workshop-Ergebnisse sowie der abschließenden Diskussion, in der die Forderungen der Architektenschaft teilweise auch wieder an die Politik zurückgespielt wurden, können Sie in der ausführlichen Dokumentation nachlesen, die nach Auswertung der Ergebnisse voraussichtlich am 15.05.2015 veröffentlicht wird.

http://www.detail.de/research/forschung-entwicklung/architekten-gefragt-architekturqualitaet-im-kostenguenstigen-wohnungsbau-024914.html

 

 

Programmübersicht (PDF | x MB) 

Einführung

Begrüßung

Hans-Dieter Hegner, Ministerialrat im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, Berlin
Joachim Brenncke, Vizepräsident der Bundesarchitektenkammer, Berlin

Baukosten senken, aber wie? (PDF | 400 KB)
Michael Neitzel, Geschäftsführer der InWIS Forschung & Beratung GmbH, Bochum


Arm und sexy? – Die unendliche Geschichte des billigen Wohnungsbaus
Prof. Dr. Thomas Jocher, Institut Wohnen und Entwerfen, Universität Stuttgart

 

Workshops

Workshop 1: Grundrisse

Impulsvortrag (PDF | 6,1 MB)
Andre Kempé, Atelier Kempe Thill, Rotterdam

Impulsvortrag (PDF | 1,4 MB)
Matthias Ottmann, Südhausbau, München


Workshop 2: Konstruktion

Effiziente konstruktive Lösungen? (PDF | 3,2 MB)
Prof. Georg Sahner, Hochschule Augsburg, G.A.S. - planen-bauen-forschen, Stuttgart

Impulsvortrag (PDF | 3,6 MB)
Kristina Jahn, Vorstand, degewo AG, Berlin


Workshop 3: Wettbewerbsverfahren

Impulsvortrag (PDF | 3,8 MB)
Jochen König, hks Jochen König Architekten & Gesamtplaner, Aachen

Impulsvortrag (PDF | 2,7 MB)
Frank Junker, Vorsitzender der Geschäftsführung, ABG Frankfurt Holding


Workshop 4: Planungs- und Bauprozess

Impulsvortrag (PDF | 1,7 MB)
Prof. Dr. Rudolf Hierl, Hochschule Regensburg, Hierl Architekten BDA DWB, München

Impulsvortrag
Andreas Lüllau, SAGA GWG, Hamburg


Alternative Lösungen und Workshop-Ergebnisse

Strategien im Wohnungsbau
Christian Roth, zanderrotharchitekten, Berlin